Kolumne Kopenhagen-Protokoll: Der Experte als Bürger

Wissenschaftler stehen als solche wie als Bürger demokratischer Gemeinwesen in Verantwortung, ihre Erkenntnisse mitzuteilen. Von einem "Klimagate" kann keine Rede sein.

Wissenschaftliche Politik, soll einmal ein enger Mitarbeiter Willy Brandts gesagt haben, gehe ungefähr so: Wissenschaftler schmeißen ein Konvolut mit Daten, Interpretationen und Empfehlungen über eine hohe Mauer und hoffen, dass es auf der anderen Seite exakt dem Politiker in die Hände fällt, der danach gesucht hat. Und der dann auch noch so entscheidet wie empfohlen. Politikberatung ist in Wahrheit ein disparates Geschäft, dessen Tausch-Ratio - Informationen und Szenarien für Entscheidungen - "unsachlich" und über mehrere Etappen politischer Kommunikation verformt wird. Deren Abfolge gleicht häufig einer Stillen Post.

Klimawandel kann man nicht schmecken, fühlen oder angreifen. Ähnlich wie bei radioaktivem Fallout kann Klimaschutz nicht auf den Augenschein oder gesunden Menschenverstand vertrauen, sondern ist auf naturwissenschaftliche Messungen und Prognosen angewiesen, die wie üblich in herrschende und abweichende Positionen zerfallen. Beim Klimawandel herrscht in der Forschergemeinschaft nach 20 Jahren intensiver Forschung weitgehende Einigkeit darüber, dass er menschengemacht ist, sich in den letzten Jahren erheblich beschleunigt hat und bei anhaltendem oder steigendem Emissionslevel auf gefährliche Kipppunkte zusteuert.

Weniger anerkannt in der scientific community ist die 2-Grad-Leitplanke, häufig zum "2-Grad-Ziel" verballhornt. Sie folgt aus der schlichten Physik des Klimawandels - bei mehr als 2 (die Insel- und Küstenstaaten sagen: 1,5) Grad wird die Erwärmung von Erde und Meer bedrohlich. Ebendiese in den 1990er-Jahren in Umlauf gekommene und vom UN-Weltklimarat IPCC verbreitete Terminierung haben sich die Staatenlenker von G 8 und G 20 nun zu eigen gemacht und implizit zur Grundlage der Kopenhagen-Verhandlungen.

Dagegen laufen Kritiker Sturm. Aus gehackten E-Mails basteln sie ein "Klimagate", raunen von einer Verschwörung macht- und geldgeiler Forscher, unterstellen dem IPCC und dem WBGU (Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen), die wissenschaftliche Distanz aufgegeben zu haben. Nichts davon entspricht den Tatsachen. Wissenschaftler stehen als solche wie als Bürger demokratischer Gemeinwesen in Verantwortung, ihre Erkenntnisse mitzuteilen, und als Berater sollen sie Problemlösungen aufzeigen. Ihre scheinbare Überpolitisierung verweist nur auf die bisherige Unterpolitisierung des Klima-Themas, das in der Tat nicht in der Hand von Experten bleiben darf, sondern Gegenstand der öffentlichen Debatte werden muss. Und mit friedlichem Protest auf die Straßen und Plätze gehört, wie in Kopenhagen und weltweit geschehen. Die globale Klimaopposition ist da.

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