Bedenken gegen Reaktorbau in Bulgarien: AKW soll in Erdbebengebiet

In Bulgarien soll ein AKW in einem erdbebengefährdetem Gebiet gebaut werden. Hinter dem ausführenden Konsortium steckt der russische Erdgas-Monopolist Gazprom.

Im bulgarischen Atomkraftwerk Kosloduj Bild: dpa

BRÜSSEL taz Die Geschichte klingt wie das Drehbuch für einen ziemlich mittelmäßigen James-Bond-Film: Im bulgarischen Belene soll ein AKW gebaut werden, obwohl das Projekt 1992 von der damaligen Regierung schon einmal gestoppt wurde. Denn das Gebiet ist erdbebengefährdet und das Unternehmen wirtschaftlich nicht rentabel. Nun feiert die Totgeburt Wiederauferstehung. Umweltverbände behaupten: Dahinter steckt der russische Erdgas-Monopolist Gazprom und die korrupte bulgarische Regierung, die enge Beziehungen zu den Führungskadern der ehemaligen Sowjetunion unterhält.

Seit sechs Monaten bemühen sich Greenpeace und das Institut für ökologische Politik in Sofia um einen Termin bei den zuständigen EU-Kommissaren Dimas (Umwelt) und Piebalgs (Energie). Am Freitag kam das Gespräch endlich zustande. In der Woche zuvor hatten 20.000 besorgte Bürger dem Energiekommissar E-Mails mit der Aufforderung geschickt, keine positive Stellungnahme zu Belene abzugeben. Vom Votum der

EU-Kommission wird es abhängen, ob Euratom und die Europäische Investitionsbank dafür Kredite geben. Ohne öffentliche Mittel ist das Projekt vom Tisch, denn private Banken wollen nicht einsteigen - das finanzielle Risiko ist ihnen zu hoch.

Als Experten mit Insiderkenntnissen haben die Verbände Gueorgui Kastchiev mit nach Brüssel gebracht. Der Atomphysiker war von 1997 bis 2001 Vorsitzender der bulgarischen Atomsicherheitsbehörde und arbeitet heute im Institut für Risikoforschung der Universität Wien. Glaubt man Kastchiev, so müssen auch Kernkraftbefürworter das geplante AKW in Belene bekämpfen - nicht nur aus Sicherheitsgründen. Bulgarien mache sich damit noch abhängiger von Moskau als zuvor.

Schon jetzt bezieht das Land sein gesamtes Erdgas und die Brennstäbe für seine AKW aus Russland. Der nun geplante Reaktor soll von einem Konsortium gebaut werden, hinter dem Gazprom steckt. Areva und Siemens wären ebenfalls mit von der Partie. Gazprom benutze Belene als "trojanisches Pferd", um von Bulgarien aus den europäischen Markt aufzurollen, behauptet der bulgarische Umweltaktivist Petko Kovachev. "Kommissionspräsident Barroso spielt russisches Roulette mit unseren Bürgern und unserer Gesellschaft" schimpfte er bei seinem Besuch in Brüssel.

Kastchiev hält sich mit politischen Aussagen zurück. Er sei Naturwissenschaftler und liefere fachliche Argumente. Den vorgesehenen Reaktortyp AES-92 hält er für wenig vertrauenerweckend. Es handelt sich um eine russische Technologie, von der bislang nur ein Modell in Tianwan in China am Netz ist. In Bulgarien selber sei alles Know-How für ein Projekt dieser Größenordnung Anfang der 90er Jahre verloren gegangen, als Ingenieure und andere technische Spezialisten in Scharen das Land verließen.

Bulgarien ist heute eins der ärmsten Länder der EU mit einem sechseinhalbfach höheren Pro-Kopf-Verbrauch an Strom als im Durchschnitt der alten EU-Länder. Auch beim Strompreis steht Bulgarien an der Spitze. Die Verluste durch ein überaltertes Leitungssystem und schlechte Isolierungen sind enorm hoch. Entsprechend groß ist das Einsparpotential, das den Bau neuer AKW überflüssig machen würde.

Die Frage ist, warum angesichts dieser überzeugenden Faktenlage dennoch damit gerechnet wird, dass die EU-Kommission das Projekt gutheißt und damit den Weg für Kredite freimacht. Zum einen steht Energiekommissar Andris Piebalgs unter scharfer Beobachtung. Ihm wird unterstellt, zu viel über erneuerbare Energien und Einsparmöglichkeiten zu reden und die Option Atomkraft nicht in seine Rechnung einzubeziehen. Vor allem Frankreich, das neue AKW plant, macht hier Druck. Denn je weniger neue Reaktoren gebaut werden, desto schneller geht das Know-How verloren und desto weniger rentabel wird die Technologie insgesamt.

Druck kommt aber auch aus der bulgarischen Regierung. In Sofia wird die im Beitrittsvertrag erzwungene Abschaltung zweier Reaktoren des AKW Kosloduj an der Donau noch immer als nationale Schmach empfunden. Ein zweites Mal will man sich nicht von Brüssel diktieren lassen, welche Energieträger die Zukunft des Landes sichern sollen.

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