Nach dem Dioxinskandal: Die Rettung des Bio-Eis

Nach dem Dioxinskandal im Frühjahr ist der Markt für Bioeier eingebrochen. Die Branche reagierte: Jetzt soll jede Futterlieferung von außerhalb der EU auf das Gift untersucht werden.

Lauf, Kücken, lauf! Bild: suze/photocase

Es reichen wenige Pikogramm. Einmal im Körper, bleibt Dioxin ein Leben lang im Fettgewebe. Kommen über die Jahre neue Giftdosen hinzu, kann sich das zu einer gesundheitsrelevanten Menge summieren und das Krebsrisiko erhöhen. Um so größer war die Aufregung, als im Frühjahr mehr Dioxin in Bioeiern gefunden wurde, als erlaubt ist. Doch nun werden die meisten Ökoeier wohl sicherer - bei konventioneller Ware dagegen bleibt alles beim Alten.

"Ab 1. August müssen unsere Mischfuttermittel-Hersteller alle Rohstofflieferungen für Ökolegehennen-Futter von außerhalb der Europäischen Union auf Dioxin untersuchen", sagte der Geschäftsführer des Vereins für kontrollierte alternative Tierhaltungsformen (KAT), Caspar von der Crone, am Donnerstag der taz. Zudem werde der Verein eine Datenbank errichten, mit der sich der Weg jeder Lieferung in Echtzeit zurückverfolgen lasse. So will KAT künftig verseuchtes Futter aus dem Verkehr ziehen können, bevor es in den Trögen der Tiere landet. Wer die Verträge nicht unterschreibe, erhalte künftig nicht mehr die für die Vermarktung wichtige KAT-Zertifizierung, sagte Crone. Konventionelle Futtermittelkomponenten dagegen würden auch künftig nur bei konkretem Verdacht getestet.

"Wir werden die neuen Regeln akzeptieren", erklärte Jan te Paske, Marketingleiter des niederländischen Futterherstellers ForFarmers. ForFarmers ist einer der größten Ökolieferanten in Deutschland. Ähnlich äußerte sich eine Sprecherin des Konkurrenten Reudink, der ebenfalls von dem jüngsten Dioxinskandal betroffen war. Wahrscheinlich werden auch die anderen Mischfutterwerke KAT nachgeben, denn der Verein ist die wichtigste Selbstkontrollorganisation der Eierwirtschaft. Zwar sind nur rund acht Prozent der KAT-Eier bio. Die meisten Betriebe sind konventionelle Farmen mit Freiland- oder Bodenhaltung. Aber die Biomitglieder von KAT liefern nach eigenen Angaben 90 Prozent der in Deutschland verkauften Bioware. Große Einzelhändler bestehen meist darauf, dass ihre Lieferanten sich den KAT-Regeln unterwerfen. Ohne KAT-Zertifizierung kein Geschäft, lautet die Devise. Denn die staatlichen Kontrollen sind mangels Personal sehr lückenhaftund die Biokontrollstellen müssen nicht auf Dioxine testen. Bekannt ist der Verein vor allem für seine Datenbank, mit deren Hilfe Verbraucher im Internet anhand der Nummern auf dem Ei nachschauen können, von welchem Betrieb die Ware stammt.

Die EU schreibt vor, dass nur mit einem Code versehene Eier verkauft werden dürfen. Die erste Ziffer bezieht sich auf die Haltungsform:

0 = Ökologische Erzeugung: Die Tiere bekommen laut EU-Bioverordnung fast nur Futter, das ökologisch erzeugt wurde: ohne das Grundwasser gefährdende Pestizide, leicht lösliche Mineraldünger und ohne Gentechnik. Jedes Tier muss Zugang zu vier Quadratmetern Auslauf im Freien haben. Im Stall teilen sich maximal sechs Hennen einen Quadratmeter.

1 = Freilandhaltung: Die Hennen leben in einem Stall, der den Bedingungen der Bodenhaltung entspricht. Zusätzlich haben sie tagsüber Auslauf im Freien. Dort hat jedes Huhn im Schnitt mindestens vier Quadratmeter Platz.

2 = Bodenhaltung: Neun Tiere pro Quadratmeter Stall ohne Auslauf. Ein Drittel des Stalls ist eingestreut. Der Rest besteht aus Gitter- und Lattenrosten. In manchen Varianten gibt es Nester auf mehreren Etagen.

3 = Käfighaltung: Bei Eiern aus dem Ausland ist das meist die klassische Legebatterie, die in Deutschland inzwischen verboten ist. Deutsche Käfighühner leben nun in der Kleingruppenhaltung. Da hat jede Henne je nach Gewicht 800 bis 900 Quadratzentimeter Platz.

Ursache für den Anfang Mai bekannt gewordenen Dioxinskandal waren 2.500 Tonnen Mais aus der Ukraine. Wie das Futter mit dem Gift belastet worden war, haben die Behörden trotz monatelanger Ermittlungen nicht geklärt. Dioxine werden nicht absichtlich produziert, sondern können ungewollt bei Verbrennungsprozessen entstehen. Eine defekte Trocknungsanlage hätte die Quelle sein können, dafür gibt es aber im konkreten Fall keine Belege. Sicher ist hingegen, dass Mühlen in den Niederlanden den Mais in Futter mischten, welches dann an Bio-Legehennenfarmen geliefert wurde. Auch konventionelle Betriebe erhielten den Mais. In Eiern von Hühnern, die das Futter gefressen hatten, entdeckten KAT-Prüfer Dioxindosen über den gesetzlichen Grenzwerten. Doch da waren schon Hunderttausende Eier der Dioxin-Hühner verkauft und gegessen.

Der Skandal hatte für die Branche fatale Folgen. "Der ganze Ökoeiermarkt ist zusammengebrochen", sagt KAT-Chef Crone. Mehrere Supermarktketten nahmen die Eier von unter Verdacht geratenen Lieferanten aus den Regalen. Lidl, Deutschlands größter Discounter, schmiss sogar alle Bioeier aus dem Sortiment. Die Läden hätten im Mai mit Bioeiern 20 Prozent weniger eingenommen als vor einem Jahr, sagt Helmut Hübsch vom Marktforschungsinstitut GfK. Dabei sind sowieso nur etwa drei Prozent der in Deutschland verkauften Eier bio. In Interviews brachen Bauern in Tränen aus, weil sie sowohl um ihr Geschäft als auch ihren Ruf fürchteten. Viele Verbraucher schimpften darüber, dass selbst Ökos ihr Futter aus der Ukraine beziehen - haben viele doch das kaum realistische Idealbild vom Hof vor Augen, der seine Viecher nur mit selbst angebautem Futter versorgt.

Für Reformen des Kontrollsystems war die Misere nach dem Skandal jedoch eine Chance. "Jetzt können wir die neuen Proben und die Rückverfolgbarkeit durchkriegen", erzählt Crone. Die Bioerzeuger hätten erkannt, dass sie etwas tun müssen, um ihre Eier wieder verkaufen zu können.

Diese Strategie scheint zu funktionieren: "Ab cirka Mitte August bieten wir wieder Bioeier an", kündigt Lidl-Sprecherin Simone Hartmann an. Im August soll das Kontrollregime des KAT zu wirken beginnen.

Die konventionellen Eierproduzenten sehen sich nicht unter Veränderungsdruck, da sie nicht im Brennpunkt des Dioxinskandals standen. Die Nachfrage nach ihren Produkten nahm sogar zu, weil viele Konsumenten statt zu mutmaßlich verseuchten Bioeiern nun zu konventionellen griffen. Deshalb habe der KAT das neue Prüfsystem bisher nicht auch dort durchsetzen können, erklärt Crone. Er hoffe aber, dass langfristig auch dieser viel größere Teil der Eierwirtschaft folgt. Schließlich seien zu hohe Dioxindosen auch schon in konventionellem Hühnerfutter gefunden worden, zum Beispiel vor einigen Jahren in Belgien. Crone sagt: "Rückstände kommen immer wieder vor."

Allein seit Anfang 2009 registrierte ein EU-Schnellwarnsystem mehr als 20 Lebens- und Futtermittellieferungen, die stärker als erlaubt mit Dioxinen belastet waren. Fast alle betrafen die konventionelle Branche.

Der Deutsche Verband Tiernahrung mauert bislang aber massiv. Jede Lieferung auf Dioxin zu überprüfen, sei "nicht praktikabel und zum Großteil sinnlos", wehrt Geschäftsführer Bernhard Krüsken ab. Derart viele Analysen seien "eine Verschwendung von Ressourcen". Das heißt: Sie sind zu teuer. Der niederländische Biofutterhersteller ForFarmers dagegen hält die 500 Euro für eine Dioxinanalyse im Labor bei einem Warenwert von zum Beispiel 200.000 Euro für unerheblich. Deswegen seien auch keine Preiserhöhungen nötig.

Dennoch meint Krüsken, dass die Branche lieber "intelligent beproben" solle, also zum Beispiel Material aus einer Region, das in der Vergangenheit schon mal aufgefallen ist. Das mache sie auch schon. Schließlich kämen 95 Prozent des Futters von Mühlen, die sich von dem Prüfunternehmen QS zertifizieren lassen. Mehr als die Hälfte sei zusätzlich an ein zweites Kontrollsystem, das niederländische GMP+, angeschlossen. Und beide würden Analysen jeder Futterrohstoffcharge aus dem Nicht-EU-Ausland vorschreiben. Erst auf Nachfrage sagt Krüsken, wie dabei eine Charge definiert ist: "Das kann auch ein Material aus einer Region sein." Anders als bei KAT muss also nicht jede Lieferung überprüft werden.

Der jüngste Skandal hat nach Meinung des KAT gezeigt, dass solche Stichproben nicht ausreichen. Auch die bisher praktizierten Analysen des fertig gemischten Legehennenfutters hätten nicht den gewünschten Erfolg gebracht. "Das hat sich als zu spät herausgestellt", erklärt Crone. Bis die Ergebnisse vorlagen, sei ein Teil des Futters meist schon verbraucht gewesen. "Jetzt lassen wir bereits vor der Futterherstellung testen. Und dabei schreiben wir das Labor für die Untersuchung und die Analysemethode vor."

Mit den Maßnahmen will der KAT auch sein eigenes Image aufbessern. Er war es zwar, der den Skandal aufdeckte und Betriebe intern sperrte. Doch wochenlang hielt er die ersten Testergebnisse über den Dioxingrenzwerten unter Verschluss und informierte erst dann die Behörden.

Wegen dieser zweifelhaften Informationspolitik fragte sogar die FDP-Bundestagsabgeordnete Christel Happach-Kasan bei der Bundesregierung nach, ob die Ämter nun den KAT bestrafen würden. Niedersachsens Agrarministerium kam nach Ermittlungen aber zu dem Ergebnis, dass dem Verein juristisch gesehen nichts vorzuwerfen sei. Jetzt versprach Crone, künftig die Behörden umgehend vertraulich über Grenzwertüberschreitungen zu informieren.

Prompt gibt sich Happach-Kasan versöhnlicher. "Gut, dass KAT nun handelt", erklärt sie, tritt dann aber doch noch etwas nach: Die zusätzlichen Labortests seien überfällig, ergänzt die Agrarpolitikerin. "Auch die vertrauliche Information an die Behörden ist im Prinzip selbstverständlich." Happach-Kasan, die im Bundestag gerne mal die Ökobauern kritisiert, fordert dagegen keine neuen Dioxinkontrollen für die konventionelle Branche.

Anders als Deutschlands größter Ökobauernverband, Bioland. "Warum kontrolliert der KAT jetzt Biofutter strenger, aber konventionelles nicht?", fragt Bioland-Bundesvorsitzender Thomas Dosch. "Das ist nicht gerechtfertigt." Solche unterschiedlichen Standards trügen auch dazu bei, dass die Preise für Ökoprodukte höher sind. Dosch fordert: "Da müssen gleiche Bedingungen für alle her."

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