Europäischer Druckwasser-Reaktor: Sicher ist nur das Risiko

Von wegen modern und besonders sicher: Seit dieser Woche steht fest, dass der Europäischen Druckwasserreaktor gravierende Sicherheitsdefizite mitbringt.

Greenpeace-Aktivisten bei einer Anti-EPR-Aktion am Akw Belleville-sur-Loire. Bild: ap

STOCKHOLM taz | Eine neue, "noch sicherere" Reaktorgeneration. So bewirbt Areva, nach eigener Einschätzung "weltweit führend im Design und in der Konstruktion von Nuklearreaktoren" auf seiner Webbseite den "Europäischen Druckwasserreaktor" (EPR).

Seit dieser Woche steht fest, dass man in diese "noch sicherere" Konstruktion grundlegende Sicherheitsdefizite eingebaut hat: Das normale Betriebssystem des Reaktors und das Sicherheitssystem, das bei einem Störfall die Kontrolle übernehmen soll, sind so stark miteinander vernetzt, dass der Ausfall des ersten auch zu der des Notfallsystems führen kann.

In einer gemeinsamen Erklärung hatten am Montag die Atomaufsichtsbehörden Grossbritanniens, Frankreichs und Finnlands diese Sicherheitsdefizite öffentlich gemacht und von Areva ein Neudesign der fraglichen Konstruktionselemente gefordert. Die Begründung: Mit der jetzigen Konstruktion könne eine "Gewissheit, aufgrund der aktuellen Konfiguration eine zufriedenstellende Sicherheit zu gewährleisten, nicht erreicht" werden.

Vom normalen Betriebssystem unabhängige Notfallsysteme gehören zum Grundprinzip jeder AKW-Konstruktion. AtomkraftgegnerInnen bezeichneten die jetzige Erkenntnis, dass das Areva-Siemens-Konsortium beim Entwurf des EPR offenbar gegen dieses Prinzip verstossen hat, gleich als doppelten Skandal: Wegen des Verstosses selbst und wegen der Tatsache, dass dieser Mangel den Genehmigungsbehörden in Frankreich und Finnland bislang offenbar überhaupt nicht aufgefallen war.

Dort werden von Areva seit 2004 in Olkiluoto bzw. 2007 in Flamanville erste Prototypen des EPR gebaut. Und die Pläne wurden schon vor Jahren sowohl von der französischen ASA wie der finnischen STUK ohne Anmerkungen genehmigt.

Auf die Spur der Defizite in der Sicherheitsarchitektur war jetzt das britische "Nuclear Installations Inspectorate" (NII) gestossen, nachdem Areva dort wegen eines möglichen EPR-Baus in Grossbritannien die entsprechenden Pläne vorgelegt hatte. Man habe die Problematik seit längerem diskutiert, behauptet nun die finnische STUK in einer Erklärung, spricht aber seltsamerweise erst jetzt von "Kopplungen zwischen den Systemen, welche die Behörde nicht akzeptieren kann".

Am Dienstag appellierten Greenpeace und vier finnische Umweltschutzorganisationen an das Parlament in Helsinki, nicht länger auf Atomkraft zu setzen: Diese veraltete Technik solle endgültig der Vergangenheit angehören. Das französische Atomausstiegsbündnis "Sortir du nucléaire" forderte die umgehende Einstellung des EPR-Programms und die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission.

Denn entweder habe die Atomaufsichtsbehörde ASA geschlafen und sei deshalb unfähig, oder sie habe die fehlerhafte Konstruktion bewusst übersehen, um die Interessen der französischen Atomindustrie nicht zu gefährden. Letzteres würde bedeuten, dass man die Gefahr "einer oder mehrerer Nuklearkatastrophen in Kauf genommen" habe.

Darüber, wie sehr die neuen Probleme beispielsweise die Fertigstellung des kräftig verspäteten finnischen EPR-Reaktors Olkiluoto 3 weiter verzögern könnten, wollte man sich beim Bauherrn TVO nicht äussern. Nach ursprünglichen Plänen sollte dieser Reaktor bereits seit Sommer diesen Jahres Strom produzieren. Erst kürzlich hatte TVO mitgeteilt, dass auch der zuletzt ins Auge gefasste Termin zur Inbetriebnahme, Juni 2012, nicht mehr zu halten sein werde. Realistischerweise müsse man nun von 2013 oder 2014 ausgehen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.