Reaktorzahl sinkt: Die Mär von der AKW-Renaissance

Die Zahl der Atomreaktoren wird laut einer Studie in den nächsten Jahren weiter zurückgehen - aller Wiederauferstehungs-Rhetorik zum Trotz.

Trotz der Neubauten wird die Anzahl der Reaktoren weltweit abhnehmen. Bild: ap

BERLIN taz Die Bedeutung der Atomkraft für die Energiewirtschaft wird in den nächsten Jahren international weiter abnehmen. Zu diesem Ergebnis kommt der "World Nuclear Industry Status Report", der soeben erschienen ist. Autor des Berichts ist Mycle Schneider, unabhängiger Berater für Energie- und Atompolitik in Paris. Sein Fazit: "Diverse Szenarien, die der Kernenergie einen weltweiten grandiosen Ausbau vorhersagen, entbehren jeder industriellen Grundlage."

Das untermauert Schneider mit umfangreichem Zahlenmaterial. Weltweit sind demnach aktuell 439 Reaktoren in Betrieb, das sind bereits fünf weniger als im Spitzenjahr 2002. Zwar sind 32 Reaktoren weltweit in Bau, doch auch dies ist im Vergleich zu früheren Jahren eine eher geringe Anzahl: Noch vor acht Jahren waren es 53 Meiler.

Trotz der Neubauten wird die Anzahl der Reaktoren weltweit in den kommenden Jahren abnehmen, weil gleichzeitig mehr alte Reaktoren vom Netz gehen werden als neue hinzukommen. Das ergibt sich aus dem Alter der Meiler, das im weltweiten Durchschnitt bei 23 Jahren liegt. Zum Vergleich: Die 117 Atomkraftwerke, die seit Beginn des Atomzeitalters weltweit abgeschaltet wurden, waren im Schnitt nur 22 Jahre alt.

Um die Zahl der Reaktoren zu halten, müßten bis 2015 zu den derzeit in Bau befindlichen Anlagen noch 69 weitere hinzu kommen, rechnet die Studie nun vor. Und in den darauffolgenden zehn Jahren müßte noch weitere 192 Blöcke folgen - was völlig unrealistisch ist. Damit stehen die Fakten, bilanziert Schneider, "im krassen Gegenteil zu der allerorts propagierten Renaissance der Atomkraft".

Drastisch ist der Rückzug der Atomkraft vor allem in Europa: Seit dem Höhepunkt im Jahre 1988, als in den Ländern der heutigen EU noch 177 Reaktoren am Netz waren, ist die Zahl um 31 auf aktuell 146 gesunken. Viele der Kraftwerke wurden abgestellt, ohne das die Öffentlichkeit davon Notiz nahm. Anders beim Neubau: In Finnland, auf der derzeit einzigen Reaktorbaustelle Europas, wird fast jede erfolgreich fixierte Schraube als Renaissance der Atomkraft gefeiert.

"Das Gerede über eine Wiederauferstehung dieser Hochrisikotechnologie lenkt von den eigentlichen Problemen ab", heißt es nun bei den Grünen im Europaparlament, die die Studie in Auftrag gegeben hatten. "Ein alternder Kraftwerkspark führt bei mangelnden Fachkräften zu immer höheren Gefahren", sagt die grüne Parlamentarierin Rebecca Harms. Nun sei "die Politik gefordert, endlich auf den Boden der Tatsachen zurückzukehren".

Denn die Atomindustrie, bilanziert Harms, habe "immer wieder ihre Unfähigkeit demonstriert, auch nur den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden." So erweise sich auch das erste Neubauprojekt in Europa seit 15 Jahren, in Finnland, "als eine Katastrophe": Bereits nach zwei Jahren hätte sich ein Drittel Bauzeitverzögerung ergeben, und bei einer Kostensteigerung von 50 Prozent seien schon mindestens 1,5 Milliarden Euro Verluste aufgelaufen. Harms ist davon überzeugt, dass der politische Kampf gegen die Atomenergie davon profitieren wird, dass "diejenigen, die die zivile Atomaufrüstung weltweit propagieren, bisher nicht so erfolgreich sind, wie sie es suggerieren."

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