Banker am Rande des Nervenzusammenbruchs: Krank durch die Bank

Getrieben von Renditeforderungen haben sie ahnungslosen Kunden hochriskante Papiere angedreht. Sie leiden unter Gewissensbissen und Psychoterror - und schaffen trotzdem nicht den Ausstieg.

Terror der Ökonomie: der "Hammering Man" im Frankfurter Bankenviertel. Bild: ap

Eines Tages konnten sie es nicht mehr länger mit ansehen: Die Arbeitskollegen schickten Bernd Tillmann* nach Hause. Monatelang hatte der damals 33-jährige Bankangestellte gegen den drohenden Zusammenbruch angekämpft; hat ignoriert, dass ihm die Arbeit immer weniger Freude bereitete. Dann, an einem Tag im Herbst 2002, verließen ihn die Kräfte: "Zu Hause habe ich mich unter der Bettdecke verkrochen und wäre am liebsten nie mehr hervorgekommen", sagt Tillmann. Der Arzt diagnostizierte "Anpassungsstörungen", er selbst nennt es heute "Burnout". Tillmann verlor den Boden unter den Füßen, fragte sich, ob er noch normal sei. Irgendwann sagte er sich jedoch: "Nicht ich bin verrückt, die Welt ist verrückt. Mein Arbeitgeber ist verrückt."

Der Verkaufsdruck, die Erwartung an permanente Erreichbarkeit und die Arbeitsbelastung durch Stellenabbau haben im Bankenbereich in den vergangenen Jahren derart zugenommen, dass immer mehr Angestellte davon krank werden. Elke Ahlers von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung sagt, dass heute mehr als jeder zweite Bankangestellte über "permanenten Zeit- und Leistungsdruck" klage. Verschiedene Studien aus den letzten Jahren bestätigen diesen Befund.

Tausend Rückmeldungen binnen 14 Tagen habe er auf eine Onlinebefragung im März dieses Jahres erhalten, berichtet Roman Eberle von der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di Nordrhein-Westfalen, das seien "so viele wie noch nie bei einer derartigen Umfrage". Die Rückmeldungen zeigten eindeutig, dass die Wirtschaftskrise zu einer "besonderen Zuspitzung" der Belastung von Bankangestellten geführt habe. Von "menschenverachtenden und -zerstörenden Verhaltensweisen" der Führungskräfte sei in den eingesandten E-Mails die Rede, vom "Zwang zum Verkauf immer fragwürdigerer Produkte", was "in Verbindung mit immer subtilerem Controlling" an "Psychoterror" grenze. "Die Bank macht uns krank!", bringt es einer der Teilnehmer der Umfrage auf den Punkt.

Mit den Kundenberatern leidet auch die Qualität ihrer Arbeit: "Im Moment verarschen wir die Kunden und brechen das Vertrauen, wo es nur geht", schrieb einer. Und ein anderer resümierte: "Man muss sich einfach nur schämen für seine tägliche Arbeit." Das Bundesverbraucherministerium schätzt, dass Bankkunden jährlich insgesamt 20 bis 30 Milliarden Euro durch falsche Beratung verlieren.

"Früher stand die Frage im Zentrum: Was braucht der Kunde? Man pflegte ein gegenseitiges Vertrauensverhältnis. Das ist heute völlig in den Hintergrund getreten: Der Berater ist zum Verkäufer geworden." Dies sagt Christian Möller*, der nach 25 Jahren bei einer Großbank ein Burnout erlebte. "Ich bin nicht der Typ, der einem Scheich eine Sauna verkauft", sagt er. Irgendwann hielt er der Belastung nicht mehr stand. Er wollte nur noch weg von der Bank.

Der Wandel sei mit der Durchsetzung des Shareholder-Value-Denkens gekommen, sagt Tillmann. Damals, Ende der Neunzigerjahre, begannen die Gewinnerwartungen der Aktionäre das Geschäftsverhalten der Banken zu bestimmen.

Die bis dahin übliche Eigenkapitalrendite von fünf bis zehn Prozent reichte zur Erfüllung der Aktionärserwartungen nicht mehr aus. Auf 20 bis 25 Prozent Rendite wurde die Messlatte hochgeschraubt. Das war für die Banken mit herkömmlichen Geschäften nicht zu schaffen.

"Dem Kundenberater sind Ertragsziele für einzelne Produktsparten gesetzt worden", sagt eine Betriebsrätin bei einer Großbank, "auf Teufel komm raus" musste dieser nun bankenfremde Produkte wie Kfz-Versicherungen, Altersvorsorge-Produkte und Lebensversicherungen verkaufen - "egal, ob man nun gerade einen Studenten oder eine Großmutter vor sich hatte". Später kamen Wertpapierzertifikate wie die hoch spekulativen Papiere von Lehmann Brothers hinzu.

Den Filialen würde vorgegeben, wie viel sie von welchem Produkt in der laufenden Woche verkaufen müssen, sagt Tillmann. Er arbeitet noch heute bei derselben Bank, Akutspritzen mit Psychopharmaka brachten ihn bereits zwei Wochen nach dem Zusammenbruch wieder auf die Beine.

"Auf Ranglisten können der Leiter oder die Leiterin und die Mitarbeiter sehen, wo ihre Filiale im internen Wettbewerb steht", erzählt er weiter. Findet sie sich nicht im vorderen Drittel, gerät sie unter Druck. Auch die Arbeit jedes einzelnen Mitarbeiters werde mittels sogenannter "Workflow Tools" permanent überwacht. Dazu gehören zum Beispiel Exceltabellen, mit welchen der Vorgesetzte jederzeit den aktuellen Stand der Verkäufe eines Angestellten überprüfen könne. "Der Berater vor Ort muss seinem Kunden Dinge verschweigen", berichtet Tillmann weiter, "sonst kann er die Zielvorgaben gar nicht erfüllen." Und diese Ziele würden jedes Jahr erhöht. Die meisten Kundenberater litten darunter, dass sie dazu gedrängt würden, ihren Kunden Produkte zu verkaufen, "die für diese nicht unbedingt geeignet sind".

Seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise bemühen sich die Großbanken wieder verstärkt um das verloren gegangene Vertrauen des Kleinkunden. Eine "neue Philosophie, die alle Bereiche erfasst", verkündete Postbankchef Wolfgang Klein bei der Hauptversammlung Mitte April und forderte "individuelle Betreuung" und "eine zwischenmenschliche Basis bei Bankgeschäften". Auch Detlev Dietz, Bereichsvorstand Privat- und Geschäftskunden der Commerzbank, weiß, dass die Kunden nicht "alles kaufen" und mehr Transparenz verlangen, wie er kürzlich der Financial Times Deutschland zu Protokoll gab. Man biete inzwischen "vermehrt festverzinsliche Produkte" an, arbeite im Beratungsgespräch mit einer "verbesserten Beratungssoftware" und habe einen Kundenbeirat eingerichtet, heißt es schließlich in der Antwort einer deutschen Großbank auf eine Anfrage der taz.

Auch im Umgang mit den Angestellten sind neue Töne zu hören: "Um die Gesundheit und damit auch die Leistungsfähigkeit unserer Mitarbeiter nachhaltig zu erhalten", habe man gemeinsam mit dem Gesamtbetriebsrat die "zentralen Belastungsfaktoren" ermittelt und arbeite an "Maßnahmen zu deren Reduzierung".

Tillmann glaubt nicht an eine Besserung. "Angesichts der riesigen Verluste stehen die Banken unter einem enormen Ertragsdruck", sagt er, "und die erforderlichen Erträge erwirtschaftet man nun mal nicht mit dem Verkauf eines Bundesschatzbriefs oder der Eröffnung eines Sparbuchs." Erst in der vorigen Woche hat Josef Ackermann, der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank bekräftigt, dass seine Bank am Renditeziel von 25 Prozent festhalte.

Kein Wunder, dass Tillmann, Betriebsrätin Möller und Gewerkschafter Eberle kein Umdenken im Management ausmachen können. Auch Dorothea Mohn vom Bundesverbraucherministerium ist skeptisch. Sie sieht einen Interessenkonflikt zwischen Banken und Kunden und verweist darauf, dass die Banken noch bis vor Kurzem jede Kritik an ihrer Kundenberatung von sich gewiesen hätten.

Der Druck auf die Berater wird wohl so schnell nicht abnehmen, im Gegenteil: Obwohl die Kunden heute viel vorsichtiger und zurückhaltender mit Verkaufsabschlüssen geworden sind und die Welt in einer Rezession historischen Ausmaßes steckt, wurden die Zielvereinbarungen in Tillmanns Bank auch in diesem Jahr weiter erhöht. Hinzu kommt die steigende Angst vor der Arbeitslosigkeit, "einer der stärksten Auslöser psychischen Drucks auf den Menschen", wie Anette Wahl-Wachendorf, Präsidiumsmitglied im Verband Deutscher Betriebs- und Werksärzte, sagt.

"Viele werden bald absaufen", meint Tillmann über seine Arbeitskollegen. Er kennt die Anzeichen. Eine Kollegin im Vertrieb zum Beispiel mache täglich heimliche Überstunden: Sie komme jeden Tag um sieben Uhr zur Arbeit und arbeite erst einmal eine Stunde vor, bis sie sich dann um acht Uhr in der Zeiterfassung anmeldet. Wegen der Personalausdünnung müsse sie alleine Aufgaben erledigen, für die früher mehrere Leute angestellt waren. Sie habe schon einmal einen Zusammenbruch gehabt. Der nächste stehe ihr aus seiner Sicht kurz bevor.

Er selbst hat sich arrangiert, momentan arbeitet Tillmann in einem Ausbildungsprogramm und ist damit vom Verkaufsdruck befreit. Die meisten Banker seien "Fachidioten", sagt er lächelnd, der Wechsel in eine andere Branche sei unrealistisch: "Der Lotto-Jackpot ist meine einzige Hoffnung, da rauszukommen." Noch immer schluckt er täglich das Psychopharmakum Paraxat.

Im Gegensatz zu Tillmann hat Möller den Ausstieg geschafft. Er ist heute selbstständiger Berater in Finanzfragen. Als Allrounder im Bankgeschäft gelang ihm der Sprung in die Selbstständigkeit. Heute gehe es ihm gut, als unabhängiger Berater habe er wieder ein reines Gewissen. Eines hat er sich und seiner Gesundheit zuliebe jedoch geschworen: "Ich werde ganz bestimmt niemals wieder bei einer Bank unter ähnlichen Druckverhältnissen arbeiten."

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