attac-Bankentribunal: Zur Strafe Karl Marx lesen

In einem Schauprozess in Berlin waren Politiker und Banker wegen ihrer Verantwortung für die Finanzkrise angeklagt. Kritiker beklagen, die Debatte wäre zu ideologisch gewesen.

Das Bankentribunal am Samstag in der Berliner Volksbühne. Bild: dpa

Als die Jury am Sonntag um kurz nach halb elf das Urteil gesprochen hat, herrscht kurze Ratlosigkeit. Es gibt keine Strafe, nicht einmal eine Auflage, nur ein dickes Bündel von Empfehlungen zur Reform der Finanz- und Sozialpolitik. "Dem Publikum zufolge hätten wir die Angeklagten dazu verurteilen müssen, alle drei Bände ,Kapital' von Karl Marx auswendig zu lernen", sagt Jury-Mitglied und Sozialrichter Jürgen Borchart. "Lebenslang Hartz IV für Angela Merkel", ruft eine Frau aus der vorletzten Reihe. Dafür gibt es donnernden Applaus.

Realität und Fiktion verschwimmen an diesen beiden Tagen des Bankentribunals, veranstaltet vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac. Schon als Ort der Veranstaltung die Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz auszuwählen, ein Theater, das gern mit unbequemen Inszenierungen von sich reden macht, liest sich als Zeichen: Wir veranstalten ein Tribunal, weil es niemand sonst macht.

"Wir nehmen nicht hin, was Banken tun und was die Politiker möglich machen", sagt Jutta Sundermann von Attac in ihrer Eröffnungsrede. Mit ihren Worten beginnt ein Schauprozess, ein Mittel, um Öffentlichkeit zu erzeugen, um Menschen wachzurütteln und zusammenzubringen. Keiner der Angeklagten - von Bundeskanzlerin Angela Merkel, über Exkanzler Gerhard Schröder bis zu Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann ist gekommen - oder hat eine Stellungnahme geschickt.

Wie es sich für einen Prozess gehört, beginnt die Verhandlung früh am Morgen. Samstag um Viertel nach neun ist der Zuschauerraum der Volksbühne überfüllt. Im Vorraum ist eine Videoleinwand aufgebaut, es gibt einen Livestream, in mehreren Städten haben die Organisatoren dafür gesorgt, dass das Tribunal an Leinwänden verfolgt werden kann - so groß war im Vorhinein die Nachfrage. Doch gerade macht der Ton Probleme, mehr Menschen strömen in den Saal, die Organisatoren werfen erste hektische Blicke auf die Uhr. Der Zeitplan ist straff, am selben Abend noch sollen die Plädoyers der fünfköpfigen Anklage und der vierköpfigen Verteidigung verlesen werden.

Das Tribunal beginnt mit Richter Jürgen Borchert, im wahren Leben Sozialrichter und deshalb bestens mit dem Ablauf eines Gerichtsprozesses vertraut. Mit stoischer Ernsthaftigkeit geht er die Liste der Angeklagten durch. Bei jedem Einzelnen fragt er nach, lässt seinen Blick suchend durch den Saal schweifen, um dann ebenso ernsthaft festzustellen: "Ist nicht anwesend."

Das Publikum dankt es mit Gelächter und Klatschen, und eine Zuhörerin wispert ihrer Nachbarin zu: "Ist das jetzt gespielt?"

Der erste Angeklagte: Exbundeskanzler Gerhard Schröder. Der Journalist Wolfgang Kaden tritt als Verteidiger auf, sieht die Schuld nicht in Berlin, sondern vor allem in London und Washington und natürlich bei der Gesellschaft. "Die tiefere Ursache der Bankenkatastrophe liegt an einem Ausgabenrausch, der alle erfasst hatte, nicht am Handeln Einzelner", ruft er. Das Publikum klatscht ausnahmsweise, sonst ernten die Verteidiger vor allem Buhrufe. "Das ist zynisch", sagt eine Zuhörerin laut, als Kaden erklärt, dass Schröder mit der Senkung des Spitzensteuersatzes doch nur Deutschland attraktiv für Unternehmen machen wollte.

Die vier Verteidiger stapeln Akten und Bücher auf ihren Tischen, Verteidiger Henner Wolter, auch beruflich Anwalt, hat das Grundgesetz mitgebracht, das macht Eindruck auf dem Rednerpult. Die Verteidiger sind gut vorbereitet, halten ihre Redezeit ein, kennen die Argumente der Ankläger.

Die Argumente der beiden Seiten sind nicht neu: Während sich die Ankläger vor allem darauf stützen, dass die Verantwortlichen in Politik und Wirtschaft zumindest grob fahrlässig, wenn nicht sogar vorsätzlich gehandelt hätten, als es darum ging, die Machenschaften der Banken zunächst zu tolerieren und sie schließlich zu retten, geben sich die Verteidiger als Realisten: "Sollen wir etwa in Zukunft Fusionen von Banken verbieten?", fragt Wolter. Ja, findet das Publikum. Wolter schüttelt den Kopf. Einmal sieht sich die Jury gezwungen, einzugreifen und für Ruhe zu sorgen.

Hinterher zeigt sich Wolter fast etwas enttäuscht. "Ich habe damit gerechnet, dass das Publikum noch viel härter reagiert", sagt er. Die Zwischenrufe und Missfallensbekundungen seien noch "sehr abgewogen" gewesen.

Vielleicht lag es auch daran, dass es die Anklage der Verteidigung nach Meinung einiger Zuschauer zu leicht gemacht hat: "Das ist keine Anklageschrift, das ist ein Pamphlet", beschwert sich ein Besucher in der Pause. Zu viele politische Positionen stünden darin, zu wenig juristisch Haltbares, unbrauchbar für einen ernsthaften Prozess. Möglicherweise liegt das auch an einem Problem, das der emeritierte FU-Professor Elmar Altvater, beim Tribunal in der Rolle als Ankläger, anspricht: "Die Anklage hat es schwer, denn sie muss an Sachen heran, die von den Angeklagten geheim gehalten werden."

Auf der Bühne werfen sich Gericht, Anklage und Verteidiger gegenseitig Fachbegriffe zu. Es geht um CDOs und CDS, um einen "negativen Liquiditätssaldo", um die Macht der Ratingagenturen. "Man braucht schon einiges an Vorwissen", sagt eine ältere Besucherin mit Bedauern in der Stimme. Sie hat sich vor allem Argumente für Diskussionen im Bekanntenkreis gewünscht und findet die Debatte wenig alltagstauglich. "Mal eben erklären lässt sich das nicht."

Als endlich, endlich nach fast zwölf Stunden Verhandlung die Plädoyers beginnen, ist niemand mehr wirklich frisch. Die Verteidiger und Ankläger, die eben noch im Gang geplauscht haben, müssen sich auf der Bühne wieder spinnefeind sein. Im Saal sind erste Lücken in den Parkettreihen sichtbar. Es fällt kaum auf, die Organisatoren werden später von 1.000 Teilnehmer sprechen. Die Verteidiger, die bislang eine gute Figur abgegeben haben, wirken auf einmal farblos, können der leidenschaftlichen Rede der Ankläger nicht mehr viel entgegensetzen. "Abwarten", empfiehlt einer von ihnen "vielleicht auch nicht unbedingt bis zur nächsten Blase." Dann fällt das Urteil, ein Urteil ohne Strafe.

"Wir können uns nicht anmaßen, hier Strafen auszusprechen, und damit wäre auch niemandem gedient", erklärt taz-Journalistin Ulrike Herrmann, beim Tribunal als Richterin dabei. Von "gravierenden Fehlern bei der Bankenrettung" ist in dem Urteil die Rede, von dem verletzten Grundsatz, dass "Eigentum verpflichtet und dem Wohl der Allgemeinheit zu dienen hat". Nicht nur einige Zuhörer, auch Verteidiger Kaden ist enttäuscht. "In den Begründungen kommt überhaupt nicht zum Ausdruck, was gestern vorgetragen wurde", sagt er. Das Urteil vermittle den Eindruck, vorgefertigt zu sein, die Jury widerspricht. Und in diesen Augenblicken scheint der Konflikt nicht mehr gespielt.

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