Irrungen der Transplantationsmedizin: Organe von Lebenden

Zunehmend werden bei der Übertragung von Nieren sogenannte Lebendspenden verwendet. Dabei sollte dies, geht man nach Recht und Gesetz, eine Ausnahme bleiben.

Nicht immer wird das Transplantationsgesetz ganz genau genommen. Bild: ap

Lässt sich ein Gesunder eine Niere oder ein Stück seiner Leber entnehmen, um es einem Kranken einpflanzen zu lassen, nennen Chirurgen dies "Lebendspende". Solche Eingriffe sind nicht ohne Risiko und sollen laut Transplantationsgesetz (TPG) die absolute Ausnahme sein: Erlaubt sind Lebendspenden nur zugunsten von Verwandten, Ehepartnern und engen Freunden. Außerdem gilt das Gebot der Nachrangigkeit: Gespendet werden darf erst, wenn kein passendes Körperteil eines "hirntoten" Menschen zur Verfügung steht.

Das aber scheint ziemlich oft der Fall zu sein: 565 der 2.753 Nieren, die 2008 hierzulande verpflanzt wurden, stammten von einem Gesunden; den Anteil der Teilleber-Lebendspenden an den insgesamt 1.122 Leberübertragungen bezifferte die Deutsche Stiftung Organtransplantation auf immerhin 4,9 Prozent.

Außerdem setzt das TPG vor jeder Operation eine gutachterliche Stellungnahme einer Lebendspendekommission (LSK) voraus. Das Gremium soll prüfen, ob der "Spender" Niere oder Leberstück wirklich freiwillig entbehren will und ob ihm womöglich Geld versprochen wurde, es also Anhaltspunkte für einen verbotenen Organhandel gibt. Das LSK-Votum ist jedoch nicht rechtsverbindlich - ein Chirurg darf auch dann transplantieren, wenn eine LSK ernsthafte Vorbehalte geäußert hat.

Dass solche Bedenken in der Praxis ohnehin nur selten vorkommen, zeigt ein Gutachten des Beratungsinstituts Iges in Berlin, das dem Bundestag seit Monaten vorliegt. Iges verweist auf eine Studie, laut der im Zeitraum 2000 bis 2002 insgesamt 1.641 Lebendorganspenden bei 21 LSK beantragt wurden. Nur 17 Anträge - das entspricht einem Prozent - wurden abgelehnt.

Erstaunlich auch, dass nicht alle LSK beide Beteiligte - Spender und Empfänger - anhören. Und es gibt laut Iges sogar LSK, die sich mitunter einfach nach Aktenlage positionieren und mit keinem der Betroffenen reden. Fraglich ist indes, ob die LSK überhaupt mehr bewirken können, als eine Beruhigungspille für die Öffentlichkeit zu sein.

Ihre Selbsteinschätzung jedenfalls gleicht einem Offenbarungseid: "Hinsichtlich ihrer Gutachtenstellung sehen sich die Kommissionen nur teilweise in der Lage, ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen", schreibt das Iges. Und fügt hinzu: "60 Prozent der LSK geben an, Unfreiwilligkeit bei der Organspende erkennen zu können, den Ausschluss von Organhandel halten 33 Prozent für möglich."

Die Zahlen basieren auf einer Doktorarbeit von Kathrin Sievers, 2007 eingereicht an er Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). "Aus den Ergebnissen der Studie", folgert Sievers nach Befragung aller deutschen LSK, "lässt sich ableiten, dass es für die weitere Arbeit der LSK unerlässlich ist, gemeinsame Kriterien für die Beurteilung von Freiwilligkeit und Organhandel zu entwickeln."

Die Prüfgremien legen ihren Ermessensspielraum sehr unterschiedlich aus: Während einige LSK grundsätzlich jede finanzielle Entlohnung und jedes Vorteilsversprechen für unzulässig hielten, werteten andere Kommissionen "die spätere Bevorzugung eines Spenders innerhalb des Familienverbandes, z. B. durch Übereignung eines Hauses, als zulässig", berichtet Kathrin Sievers. Politisch verantwortlich für solche Unklarheiten und Ungleichbehandlungen sind die Bundesländer. Denn gemäß TPG bestimmen sie die Zusammensetzung und die Arbeitsweise der LSK, deren Einrichtung sie den Landesärztekammern übertragen haben.

Diverse Vorschläge für eine bundeseinheitliche "Harmonisierung" hat die Arbeitsgruppe "Bioethik und Recht" der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) ausgearbeitet: Notwendig sei es, dass die Kommissionen sowohl Spender als auch Empfänger "zwingend" persönlich anhören. Zudem müssten die Befragten offenlegen, ob sie ihren Lebendspendeantrag womöglich bereits bei einer anderen LSK vergeblich gestellt hatten. Um Interessenkonflikte zu vermeiden, sei zudem sicherzustellen, dass in den LSK niemand mitberate, der in demjenigen Transplantationszentrum beschäftigt sei, das die gewünschte Organverpflanzung ausführen soll.

Angesichts der Tatsache, dass über Langzeitfolgen von Lebendspenden "nur wenig bekannt ist", solle das Bundesgesundheitsministerium die Einführung eines bundesweites Lebendspenderegisters prüfen. "In dem Register", schreibt die Bioethik-Arbeitsgruppe, "könnten Komplikationen und Beeinträchtigungen im Langzeitverlauf erfasst und anonym ausgewertet werden." Die Datensammlung solle von den Krankenkassen finanziert werden und könnte auch dazu beitragen, mehr Transparenz über gesundheitliche Risiken für potenzielle Spender zu schaffen.

Die Empfehlungen der Bioethik-AG nahm die GMK 2008 "zur Kenntnis" - gehandelt wurde seitdem nicht. Dagegen scheinen rechtliche Lockerungen, die Transplanteure angesichts des "Organmangels" seit Jahren fordern, nun offenbar politisch erwogen zu werden. Das Bundesgesundheitsministerium will laut Iges-Gutachten jedenfalls "eingehend" prüfen, ob Lebendnierenspenden vom geltenden Gebot der Nachrangigkeit ausgenommen werden können.

Begrüßt hat dies die FDP, deren Abgeordneter Daniel Bahr für den Fall eines schwarz-gelben Wahlsiegs als neuer Bundesgesundheitsminister gehandelt wird. Im "Deutschlandprogramm" der Liberalen heißt es: "Die Nachrangigkeit der Lebendspende sollte aus dem Transplantationsgesetz gestrichen und der zulässige Spenderkreis erweitert werden."

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