110 Jahre Schlummern: Nur noch neun Minuten

Die Snoozetaste feiert Jubiläum. Unsere Autorin macht sie jeden Morgen aufs Neue glücklich. Bis der Wecker wieder klingelt.

Nackte Füße, die unter einer Bettdecke hervorgucken

Manche sagen ja, „you snooze, you lose“. Ich glaube, das Gegenteil ist wahr Foto: Joern Rynio/plainpicture

Ich snooze für mein Leben gern. Diese neun Minuten Stille zwischen dem ersten Weckerklingeln und dem zweiten sind die beste Zeit des Tages. Deshalb möchte ich an dieser Stelle dem Schweizer Robert Türck danken, dass er vor 100 Jahren die Schlummertaste erfunden hat. Mèrssi, Herr Türck, Mèrssi!

Während ich beim ersten morgendlichen Weckruf panisch aufschrecke, stelle ich beim Blick auf mein Handy regelmäßig erleichtert fest: Ach, erst 7.30 Uhr, da kann ich mich ja noch mal umdrehen. Nur für neun Minuten. Dieses himmlische Gefühl ist wie schulfrei und Urlaubsanfang in einem. Nein, ich muss noch nicht raus, in die Kälte, Wärme, Regen, Bus, Bahn, zu den fremden Menschen mit den müden Augen und dem billigen After-Shave, das nach trauriger Lohnarbeit riecht und nach Stress und Druck und Pflichterfüllung.

Manche sagen ja, „you snooze, you lose“: „Wer rastet, der rostet“. Ich glaube, das Gegenteil ist wahr. Wer snoozt, ist frei vom Selbstoptimierungs- und Effizienzdenken – zumindest in diesem Moment. Solange es geht, bleibe ich also drinnen, unter meiner Bettdecke, denke an Nordseestrände und die letzte seeeehr guuuute Nacht. Und schon bin ich wieder eingeschlummert, reise mit einem Aufzug von links nach rechts und dann wieder diagonal. Aus irgendeinem Grund träume ich gerade viel von Aufzügen.

Dann klingelt es wieder. Die neun Minuten sind um. Aber ich habe ja noch mal neun Minuten. Und noch mal. Während der kurzen Wachphasen dazwischen entscheide ich, zugunsten des Schlummerns das Frühstück ausfallen zu lassen, das Haarewaschen, das Duschen … Obwohl ich natürlich weiß, dass Snoozen alles andere als gesund ist. Aber dafür macht es glücklich. Wenn ich das Aufstehen zwei Stunden aufschiebe, drücke ich 13 Mal die Schlummertaste. Das sind 13 Glücksmomente, ohne dass es einen Cent kostet.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Ich habe aber auch schon wie eine Weltmeisterin gesnoozt, bevor ich überhaupt wusste, was das Wort bedeutet. Da war ich 7 Jahre alt und bekam von meiner Großmutter meinen ersten eigenen Wecker geschenkt. Statt meiner Mutter, die bis dahin jeden Morgen in mein Zimmer gestürmt kam („Das Schülchen ruft!“), sollte mich von nun an ein weißer Plastikhahn wecken, den ich aber meist so lange und oft krähen ließ, bis wirklich alle wach waren, außer mir.

Es ist nämlich so, dass ich morgens immer müde bin, aber abends bin ich wach. Liebe Grüße an meine Schwester im Geiste, die verstorbene Schlagersängerin Trude Herr, die in der Hymne aller Nachtmenschen außerdem singt: „Wenn der Wecker morgens rasselt / Und der Tag nimmt seinen Lauf / Ist die Stimmung mir vermasselt / Denn ich steh so ungern auf“.

Deshalb musste ich zu Gymnasialzeiten auch öfters vor der Klassenzimmertür stehen, zur Strafe, wenn ich wegen meines langen Snoozens mal wieder zu spät gekommen war. Meine Deutschlehrerin wollte mich mit diesen und anderen Läuterungsmaßnahmen zur, wie sie sagte, „Bürgerin“ erziehen. Ein bisschen hat das letztlich auch geklappt. Zu spät komme ich heute jedenfalls meistens nur noch, wenn es keine Katastrophe ist. Das heißt, außerhalb des Arbeitskontexts und wenn meine Verabredung keine total deutsche ergo hyperpünktliche Kartoffel ist.

Ich höre übrigens gerade, dass die Schlummertaste doch schon vor 110 Jahren erfunden wurde. Bitte sehen Sie es mir nach, das hab ich wohl verpennt.

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