2. Tag Kriegsverbrecherprozess Stuttgart: Karlsruhe soll entscheiden

Die Anwälte der FDLR-Milizenführer sagen, Deutschlands Völkerstrafgesetzbuch sei verfassungswidrig. Sie beantragten die Aussetzung des Verfahrens.

In Luvungi haben FDLR-Milizen über 200 Frauen vergewaltigt. Bild: Yannick Tylle

STUTTGART taz | Im Stuttgarter Kriegsverbrecherprozess will die Verteidigung jetzt das Verfahren von höchster Stelle kippen lassen. Angeklagt sind die beiden Führer der im Kongo kämpfenden ruandischen Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). Die Anwälte des FDLR-Präsidenten Ignace Murwanashyaka kündigten am Montag ein Normenkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht an, um zu klären, ob das Völkerstrafgesetzbuch, auf dessen Grundlage dieser Prozess geführt wird, überhaupt verfassungsgemäß ist.

In der Zwischenzeit solle das Verfahren in Stuttgart ausgesetzt und die Angeklagten aus der Untersuchungshaft entlassen werden.

Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch aus dem Jahr 2002, das die Strafverfolgung von Kriegsverbrechen weltweit durch die deutsche Justiz regelt, übernimmt das Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IstGH) in Den Haag in deutsches Recht und kommt jetzt im Prozess gegen die FDLR-Milizenführer zum ersten Mal zur Anwendung.

Die Anwälte von Murwanashyaka behaupten, dieses Gesetz verstoße gegen das im Grundgesetz festgelegte Verbot der Strafbegründung durch Gewohnheitsrecht und nehme "Bezug auf nicht oder nicht vollständig kodifiziertes Völkergewohnheitsrecht". So sei in verschiedenen Paragraphen nicht ausgeführt, was genau mit "völkerrechtswidrig" oder "humanitäres Völkerrecht" gemeint sei.

Anklage zieht Antiterrorparagraph hinzu

Die Bundesanwaltschaft nimmt in ihrer Anklage gegen Murwanashyaka und seinen Stellvertreter Straton Musoni mehrfach Bezug auf Verbrechen gegen "nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen" gemäß dem Völkerstrafgesetzbuch. Weiter sind beide FDLR-Führer unter Paragraph 129a des Strafgesetzbuches der Rädelsführerschaft beziehungsweise Mitgliedschaft in einer "ausländischen terroristischen Vereinigung" angeklagt.

Die Hinzuziehung dieses Antiterrorparagraphen mit den damit einhergehenden eventuellen Beschränkungen der Rechte der Verteidigung war bereits am Eröffnungstag des Prozesses am 4. Mai von der Verteidigung kritisiert worden.

Um der Bundesanwaltschaft Gelegenheit zur Stellungnahme zu dem neuen Antrag zu geben, vertagte Richter Hettich das Verfahren auf den kommenden Mittwoch. Dass er dem Antrag der Verteidigung stattgibt, gilt als unwahrscheinlich, denn dafür müsste er selbst förmlich die Unvereinbarkeit des Völkerstrafgesetzbuches mit dem Grundgesetz feststellen und dann Karlsruhe zur Klärung anrufen.

Bisher hat Richter Hettich alle Anträge der Verteidigung abgelehnt, zuletzt am Montag morgen zur Veränderung der Sitzordnung im Gerichtssaal und zur Genehmigung für Ignace Murwahashyaka, einen Laptop in den Gerichtssaal mitnehmen zu dürfen.

Streit über die Ermittlungen vor Ort

Ein Grundsatzstreit schwelt derweil zwischen Anklage und Verteidigung über die Qualität der in Ruanda und Kongo durchgeführten Ermittlungen. Die Verteidigung behauptet, die Ermittler hätten bei ihren in Ruanda durchgeführten Zeugenbefragungen Dolmetscher hinzugezogen, die ihnen von der ruandischen Regierung gestellt worden seien, und damit seien die übersetzten Aussagen grundsätzlich in Zweifel zu ziehen.

Zur Begründung ihres Vorwurfs stützen sich die Anwälte ausgerechnet auf Generalbundesanwältin Monika Harms, die bei einem Vortrag gesagt haben soll, dass Ruandas Regierung auf die Auswahl der Dolmetscher Einfluss genommen habe. Am ersten Prozesstag hieß es, dies habe Harms in München gesagt; am zweiten Prozesstag war es plötzlich Düsseldorf.

Die Bundesanwaltschaft dementiert sowohl die Äußerung ihrer Chefin als auch den Vorwurf, Ruandas Regierung habe die Dolmetscherauswahl beeinflusst. Dies sei "gänzlich aus der Luft gegriffen" und solche Vorwürfe "haben ihren Grund ausschließlich in den ideologischen Vorstellungen der FDLR", erwiderte Oberstaatsanwalt Ritscher.

Aufschluss über die Qualität der Ermittlungen könnte die Befragung der ermittelnden Beamten liefern, die eigentlich laut Terminplan am Montag hätte beginnen sollen, aber durch den Verfassungantrag der Verteidigung jetzt verhindert worden ist.

Pikantes Detail: Sollte die Verteidigung mit ihrem Antrag auf Verfassungswidrigkeit des Völkerstrafgesetzbuches wider Erwarten durchkommen, hätte der IStGH in Den Haag freie Hand, das Verfahren gegen Murwanashyaka und Musoni an sich zu ziehen, weil dann klar wäre, dass die deutsche Justiz dazu nicht in der Lage ist. Aus diesem Grund sitzt ja bereits der dritte europäische FDLR-Führer, der in Frankreich verhaftete Exekutivsekretär Callixte Mbarushimana, in Den Haag in Haft und wartet auf seinen Prozess.

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