50 Jahre BI Westtangente: Die Schlachtung der Autobahnsau

Vor 50 Jahren gründete sich die BI Westtangente. Die „Mutter aller Berliner Bürgerinitiativen“ konnte eine Autobahn quer durch die Stadt verhindern.

Brachliegende Autobahntrasse

Die Westtangente als Brache: das Ende der A103 am Sachsendamm Foto: Schöning/Imago

BERLIN taz | Verkehrssenatorin Manja Schreiner gilt nicht unbedingt als glühende Verfechterin der Bürgerbeteiligung. Sie habe nichts dagegen, dass sich Menschen engagieren, hatte die CDU-Politikerin vor einem Jahr erklärt. Aber die Politik dürfe sich bei Bauprojekten nichts von „irgendwelchen Aktivisten“ diktieren lassen. Und auch ansonsten gehe es ja nicht an, dass sich Beteiligungsverfahren ewig hinziehen. „Da muss irgendwann auch Schluss sein.“

Norbert Rheinlaender kann von den Abwehrreaktionen der Politik auf das Engagement gegen Senatsvorhaben ein Lied singen. „Die haben uns lange gar nicht ernst genommen, das interessierte die nicht“, erinnert sich der Architekt an die 70er Jahre, als er mit der Bürgerinitiative Westtangente begann, gegen die „stadtzerstörerische Wirkung“ von Schnellstraßen zu kämpfen.

Am 6. März 1974, vor 50 Jahren, kamen Norbert Rheinlaender und 15 Mit­strei­te­r:in­nen in der Schöneberger Cheruskerstraße zusammen, um die BI Westtangente zu gründen. „Wir waren nicht so ein formeller Haufen“, sagt der inzwischen 75-Jährige zur taz. Aber ein Verein musste es dann doch sein. Daraus wurde die „Mutter aller (West-)Berliner Bürgerinitiativen“. Ob ADFC, Fuß­gän­ge­rver­ein Fuss oder Fahrgastverband IGEB, sie alle haben ihre Wurzeln in der BI Westtangente.

Der Kampf der Initiative richtete sich zunächst vor allem gegen die namensgebende Westtangente: ein heute fast vergessenes Autobahnprojekt aus den 50er Jahren, das Steglitz mit Reinickendorf verbinden sollte – einmal quer durch Schöneberg, den Tiergarten und Moabit. Tatsächlich realisiert wurde hiervon nur der knapp 4 Kilometer lange Abschnitt zwischen dem Steglitzer Kreisel und dem Sachsendamm, die A103, und – in abgespeckter Form – der Tiergartentunnel.

Happenings, Blockaden, Straßenfeste

Dass die Monstertrasse ab 1978 insgesamt nicht über den Sachsendamm hinauskam, ist auch der Arbeit von Rheinlaender und der BI Westtangente zu verdanken. Happenings, Blockaden, Straßenfeste, dazu Klagen vor Gericht: Die im Kern stets kaum mehr als 20 Ak­ti­vis­t:in­nen und wenigen hundert Un­ter­stüt­ze­r:in­nen zogen alle Register. Es ging darum, Öffentlichkeit zu schaffen und dem seinerzeitigen SPD/FDP-Senat auf die Nerven zu fallen, sagt Rheinlaender, der nach eigenen Angaben wöchentlich bis zu 40 Stunden in den Widerstand gegen die Autobahn steckte.

Wie heute auf Verkehrssenatorin Schreiner konzentrierten die Verkehrswende-Bewegten dabei auch in den 1970ern ihre Angriffe vorwiegend auf eine Person: den damals auch für Straßenbau zuständigen Bausenator Harry Ristock. Wie Schreiner war der SPD-Mann nicht wirklich vom Fach, dafür pflegte er ein umso ausgeprägteres Faible für die Schnellstraße von Schöneberg nach Moabit. Sie werde „gebaut, weil sie geplant ist“, soll Ristock erklärt haben. Die frühe taz nannte ihn deshalb wahlweise „heißesten Betonpistenfan Berlins“ oder einfach nur „Asphalt-Harry“.

Norbert Rheinlaender sagt: „So heiß war Ristock nicht, eigentlich war er sogar zugänglich, nur kompetent war er nicht.“ Genauso ist man dann auch mit ihm umgegangen. Als Ristock im Sommer 1980 die unter dem Wohnkomplex Schlangenbader Straße durchführende Stummelautobahn A104 in Wilmersdorf einweihen wollte, waren auch die Leute der BI Westtangente zur Stelle und zerrissen das Eröffnungsband, bevor es der SPD-Politiker feierlich durchschneiden konnte. Das Motto des Protests: „Schlachtung der Autobahnsau“.

Historisches Foto mit BI-Aktivisten

Keine Lust auf Autobahn: Mitglieder der BI Westtangente im Jahr 1981 Foto: BI Westtangente

„Wir hatten viel Spaß bei der Arbeit“, sagt Elke Kuhne zur taz. Die 70-jährige Soziologin war wie Rheinlaender von Anfang dabei. Jeden Donnerstag habe man sich getroffen, um stundenlang zu debattieren, auch zu streiten, und Aktionen zu planen. Selbst das Eintüten des regelmäßig erscheinenden Rundbriefs an Tausende Abon­nen­t:in­nen sei rückblickend eine heitere Sache gewesen.

Nur Stände habe sie nicht gern betreut, so Kuhne. „Da wurde ich nur angemacht, ich solle doch rübermachen in den Osten.“ Und, ja, berichtet sie, auch die K-Gruppen, die anfangs den Kontakt gesucht hätten, „die sind uns etwas auf den Wecker gefallen“. Ziemlich schnell hätten die Mao- und Stalin-Fans aber das Interesse an der Initiative verloren: „Generell waren wir wohl auch uncooler als all die anderen Initiativen, die sich beispielsweise gegen Atomkraft engagierten.“

Schneller am Ziel als die Atomkraftgegner

Coolness hin oder her. Während der Ausstieg aus der Atomkraft noch Jahrzehnte auf sich warten ließ, war die Gruppe um Rheinlaender und Kuhne etwas schneller am Ziel. Schon 1980 wurde immer deutlicher, dass aus der A103-Verlängerung über den Sachsendamm hinaus wohl nichts wird, weil der Bund nicht bereit war, die benötigten Gelder für das Milliardenprojekt zuzuschießen. Anfang 1981 – der Senat war über einen der vielen Bauskandale gestürzt und Autobahnfreund Harry Ristock weg vom Fenster – wurde der Weiterbau der Tangente vom neuen SPD-Senatschef Hans-Jochen Vogel auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Bürgerinitiative offiziell abgeblasen.

Die BI Westtangente machte weiter. Für Fahrradwege, Verkehrsberuhigungen, Bürgerparks und bald auch gegen die längst begraben gedachten Ideen für einen Tiergartentunnel. Hier halfen dann weder Happenings noch Klagen. Ab 1995 wurde der Tunnel realisiert. Und trotzdem: „Das muss man erst mal schaffen, eine Autobahn verhindern“, feierte der Verkehrsforscher Andreas Knie die Arbeit der Ve­te­ra­n:in­nen des Kampfes gegen die autogerechte Stadt vergangene Woche bei einer Jubiläumsveranstaltung zum 50-jährigen Bestehen der BI Westtangente.

Mit Blick auf die Gegenwart erinnerte Knie bei der Gelegenheit aber auch an die noch ausstehenden Schlachten. Daran etwa, dass vom Senat der Bau einer Schnellstraße quer durch die Wuhlheide von Marzahn nach Schöneweide, die „Tangentiale Verbindung Ost (TVO)“, vorangetrieben wird. Ein aus der Zeit gefallenes Irrsinnsprojekt, das bekämpft werden muss, wie nicht nur Andreas Knie findet.

Auch Norbert Rheinlaender verweist im Gespräch mit der taz unter anderem auf die TVO. Obwohl die Arbeit der BI Westtangente ab dem Jahr 2000 nach und nach eingeschlafen sei. Den Verein aus dem Register zu löschen, sei nicht infrage gekommen. „Man kann den Senatsverwaltungen nicht trauen. Irgendwann ziehen sie die alten Pläne wieder aus der Schublade“, sagt Rheinlaender. So sei es bei der TVO. So könnte es irgendwann auch bei der Westtangente sein. „Bürgerbeteiligung ist für den Senat doch nur ein Alibi. Schon deshalb muss unsere BI als Wächter bestehen bleiben.“

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