Welche Farbe hat der Jazz?

Regisseur Ken Burns hat sich mit der Jazzgeschichte beschäftigt und sie in zwölf Kapiteln erzählt. Manchen ist die Serie zu schwarz. Wir können es überprüfen: Samstag, 20.15 Uhr, Phoenix

von CHRISTIAN BROECKING

So populär war Jazz in den USA wirklich seit langem nicht mehr. Als „Jazz – A History of America’s Music“ vor einem Jahr im amerikanischen Fernsehen lief, schalteten bis zu zwölf Millionen Zuschauer ein. Verschiedene CDs aus dem insgesamt 28 Scheiben umfassenden Soundtrack zur Serie standen in den Billboard-2001-Jahrescharts ganz oben. Seit 22. Dezember ist die deutsche Fassung der Jazzdokumentation auf Phoenix zu sehen.

Sechs Jahre und 13 Millionen Dollar hat der renommierte Dokumentarfilmer Ken Burns („Baseball“, „Civil War“) für die Produktion gebraucht. Insgesamt 19 Stunden lang ist das Werk geworden, das sicherlich der umfangreichste und wichtigste Film über die Geschichte des Jazz ist.

Kein Zweifel: Die Dokumentation ist im Großen und Ganzen sehr gelungen, auch Jazzkenner können aus dem Zwölfteiler noch viel Neues erfahren. In den USA hat die Serie jedoch für kontroverse Diskussionen gesorgt, weit über Jazzkreise hinaus. In elf Teilen beschreibt der Film die Geschichte des Jazz bis 1960 – lediglich der zwölfte und letzte Teil ist den Ereignissen der vergangenen 40 Jahre gewidmet. Und genau da setzt die Kritik an, die von New York Times bis zum New York Review Of Books, von New Republic bis zur Village Voice die Runde machte.

Manches passt nicht rein

Zu den Lücken der Dokumentation gehört auch, das einige der erfolgreichsten zeitgenössischen Jazzmusiker wie Pat Metheny oder Keith Jarrett überhaupt nicht porträtiert werden. Weiße Musiker wie Metheny und Jarrett passten wohl nicht ins Konzept des afroamerikanischen Trompeters Wynton Marsalis, den Ken Burns sich als Chefberater an Land gezogen hatte. Er hat sich dafür entschieden, Ken Burns die Geschichte des schwarzen Jazz erzählen zu lassen – einer Musik, die von schwarzen Amerikanern erfunden und deren wesentliche Neuerungen von Afroamerikanern entwickelt wurden.

Für Burns standen vor allem jene soziokulturellen Aspekte dieser Musik im Vordergrund, die die Geschichte des amerikanischen Rassismus im 20. Jahrhundert erzählen. „Jazz“ ist in erster Linie ein Film für Amerikaner, Europa kommt hier lediglich als Exil für amerikanische Musiker vor, die in den USA keinen Job mehr bekamen oder den alltäglichen Rassismus nicht mehr ertragen wollten.

Wynton Marsalis selbst wird vor allem im letzten Teil der Doku als Apologet des neotraditionalistischen Retrojazz und Jazzhero der Neuzeit vorgestellt. Für den umstrittenen und im Film omnipräsenten Chefberater drückt die Kritik an der Dokumentation bereits den Machtverlust eines weißen Kritikerestablishments aus: „Es ist die Frage, auf welcher Seite man steht. Für die Kritiker, die sich nie darüber beschwert haben, dass zu viele Weiße auf den Bühnen der großen Konzerthäuser standen, wenn zum Jazz gerufen wurde, haben sich die Verhältnisse gewandelt. Und jetzt wedeln sie mit dem Banner der Gerechtigkeit und werfen mir vor, ich favorisiere den schwarzen Jazz.“

Dennoch ist der Anti-Avantgardismus von Marsalis ein zentrales Problem von „Jazz“. Der Jazzpianist Herbie Hancock wurde zwar für die Dokumentation interviewt. Doch an dem Film hat er einiges auszusetzen: „Die Einseitigkeit dieser extrem konservativen Perspektive stört mich ungemein. Die Auseinandersetzung mit neuen Musiktechnologien und Weltmusik, alles das, was den Spirit des Jazz ausmacht und ständig neu belebt, wird ausgeklammert.“

Die erfolgreichste Jazzmusikerin des vergangenen Jahres, Diana Krall, hat die zehnteilige DVD-Box zur Serie schon mehrmals verschenkt. Auch Krall weiß nur zu genau um die Kontroverse, die der Film weit über die Jazzkreise hinaus entfacht hat. Doch darin sieht sie nicht unbedingt einen Nachteil: „Jazz ist die Kunst der USA, von afroamerikanischen Musikern geschaffen, und als solche sollte sie gefeiert werden. Die Debatte um den Film hilft auch, den Jazz aus seinem Insiderghetto herauszuholen.“

Ken Burns erzählt von einer einst sehr populären Musik. Ende der Dreißigerjahre machte der Jazzanteil am Profit der amerikanischen Musikindustrie 70 Prozent aus, Mitte der Siebzigerjahre waren es gerade noch drei. Für „Jazz“ hat der Filmemacher 497 Songs, 2.000 Filmausschnitte und haufenweise Fotos ausgewählt, und zum Schluss wird der Trompeter Lester Bowie dann erzählen, warum viele Musiker ihre Musik irgendwann einfach nicht mehr Jazz nennen wollten.

Satchmo und die Forelle

Doch in den ersten Folgen geht es um die Zwanzigerjahre und Louis Armstrong, „den Boten Gottes“, der seinem Mentor King Oliver nach Chicago folgt. Dort taucht er am Bahnhof auf mit einem Forellensandwich, einem alten Koffer und einem geflickten Smoking. Und mit einem Kornett, das er so zu spielen versteht, dass den hippen Typen in Chicago das Lachen über sein Black-Boy-from-New-Orleans-Outfit im Halse stecken bleibt.