Atomindustrie: Das goldene Ende der Laufzeiten

Die Kosten sind überschaubar, die Abschreibungen vorbei, die Investitionen längst hereingeholt: Eine Million Euro Gewinn bringt ein AKW am Tag.

Geldmaschine AKW Bild: ap

FREIBURG taz Zwischen dem Gewinnstreben der Stromwirtschaft und dem Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung besteht ein unüberbrückbarer Interessenskonflikt: Jeder Tag, den ein abgeschriebener Uralt-Atomreaktor länger am Netz bleibt, bringt dem Anlagenbetreiber einen Gewinn zwischen einer halben und einer Million Euro - und den Bürgern ein steigendes Störfallrisiko.

In Deutschland sind derzeit 17 Atomkraftwerke am Netz, die zwischen 1969 (Brunsbüttel) und 1989 (Neckarwestheim II) gebaut wurden. Nach dem "Atomkonsens" aus dem Jahr 2003 sollen die Reaktoren bis zum Jahr 2020 nach und nach abgeschaltet werden. Stade und Obrigheim sind seitdem bereits stillgelegt worden. Noch in dieser Legislaturperiode müssten Biblis A, Neckarwestheim I und Brunsbüttel vom Netz gehen. Um das zu verhindern, haben die Betreiber beantragt, Strommengen von neueren auf ältere AKWs zu übertragen. Dabei sind diese besonders anfällig: Im AKW Brunsbüttel - seit Mittwoch heruntergefahren - hat es schon zwei Jahre nach der Inbetriebnahme 1976 den ersten Störfall gegeben: Zwei Tonnen radioaktiver Dampf traten aus. Der Reaktor musste in seinen 31 Jahren mehrfach monatelang vom Netz genommen werden, zuletzt lag er von August bis Oktober 2004 lahm. Die Pannenstatistik des Jahres 2006 führt jedoch das AKW Krümmel an, das seit dem Brand am 28 Juni abgeschaltet ist: 15 meldepflichtige Ereignisse musste Betreiber Vattenfall der Aufsichtsbehörde mitteilen - dicht gefolgt vom RWE-Reaktor Biblis B mit 14 und Brunsbüttel mit elf Zwischenfällen in einem Jahr.

Der Gewinn lässt sich anhand bekannter Daten grob überschlagen: Das Kraftwerk Krümmel zum Beispiel hat eine Leistung von 1.350 Megawatt, kann somit am Tag gut 32 Millionen Kilowattstunden Strom erzeugen. Die Kilowattstunde wird aktuell an der Strombörse im Jahresmittel für rund 5,5 Cent gehandelt, womit die tägliche Stromproduktion nur dieses einen Atomkraftwerks dem Besitzer Vattenfall fast 1,8 Millionen Euro an Einnahmen bringt.

Da die Atomreaktoren hohe Investitionssummen verschlungen haben, entfällt der größte Anteil der Kosten auf die Kapitalverzinsung. Die Betreiberkonzerne haben das Geld während der Bauzeiten in den 1970er Jahren aufgenommen, das sie in den Folgejahren abzahlten. Wenn man jedoch von einer im Kraftwerkssektor üblichen Abschreibungsdauer von 20 Jahren ausgeht, dürften die noch laufenden 17 Reaktoren in Deutschland inzwischen fast durchweg abgeschrieben sein. Block zwei in Neckarwestheim war 1989 der letzte, der hierzulande ans Netz ging. Somit müssen die Unternehmen für die AKWs inzwischen keine Kapitalkosten mehr aufbringen.

Alle weiteren Kosten sind überschaubar. Trotz eines drastischen Anstiegs des Uranpreises auf derzeit 130 Dollar pro Pfund, macht das Uran noch immer nicht mehr als 0,5 Cent pro Kilowattstunde, und damit keine zehn Prozent vom Großhandelspreis des Stroms aus. Auch die Personalkosten eines Atomreaktors dürften bei etwa 400 Mitarbeitern bei deutlich unter 100.000 Euro pro Tag liegen. Sind keine Reparatur- oder Wartungsarbeiten fällig, spielt ein großer Reaktor mit seinen rund 1.300 Megawatt also mindestens eine Million Euro am Tag ein. Ein kleinerer Reaktor wie jener in Brunsbüttel mit 800 Megawatt dürfte einen täglichen Gewinn von etwa einer halben Million Euro bringen. Daher spricht man auch vom "goldenen Ende" der Reaktorlaufzeit.

Diese Gewinne erzielen die Anlagenbetreiber RWE, Eon, EnBW und Vattenfall zudem fast ohne unternehmerisches Risiko - und das macht die Anlagen für die Konzerne so unschlagbar attraktiv. Denn für die technischen Risiken der AKWs haften die Betreiber nur zu einem minimalen Anteil. Nach dem Atomgesetz nämlich sind Schäden, die von deutschen Atomkraftwerken ausgehen, nur bis zur Höhe von 2,5 Milliarden Euro überhaupt durch die Betreiber abgedeckt. "Damit trägt der Staat das finanzielle Risiko eines Störfalls", sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Axel Berg.

Müssten die Anlagenbetreiber am freien Markt eine Versicherungspolice für einen hypothetischen GAU erwerben, so wäre das Thema Atomkraft schnell erledigt: Mal abgesehen davon, dass kaum ein Versicherer sich auf ein fast unlimitiertes Risiko einlassen würde, wäre eine solche Versicherung mit exorbitanten Prämien verbunden: "Dann müsste die Kilowattstunde um zwei Euro teurer werden", sagt Berg. Doch hier genieße die Atomwirtschaft ein Privileg wie sonst niemand: "Jedes Auto braucht eine ausreichende Haftpflichtversicherung, und auch jede Chemiefabrik."

Auch an anderer Stelle könnte die Gemeinschaft in die Pflicht genommen werden für die Spätfolgen des lukrativen Geschäfts mit dem Atomstrom. Denn kein Mensch weiß, ob die Rückstellungen der Atomwirtschaft reichen werden, um eines Tages die Reaktoren zurückzubauen. Reicht das Geld nicht, ist wieder der Staat in der Pflicht - und dieses Szenario ist sehr wahrscheinlich. Da die Atomkonzerne ihre Rückstellungen zudem nicht in sicheren Anlageformen parken müssen, sondern damit am Kapitalmarkt agieren können, ist auch ein Verlust des Geldes möglich. Bekannt ist, dass Rückstellungen in großem Stil in Telekommunikationsunternehmen gesteckt wurden.

Da bei keinem anderen Kraftwerkstyp die Brennstoff- und Betriebskosten im Verhältnis zu den Investitions- und Entsorgungskosten so gering sind wie bei der Atomkraft, kommen lange Reaktorlaufzeiten einer Gelddruckmaschine für den Betreiber gleich. Gleichzeitig werden aber gerade die abgeschriebenen Reaktoren zu einem großen Sicherheitsrisiko: "Man sieht doch an den jüngsten Ereignissen, dass mit dem Alter der Reaktoren auch das Störfallrisiko steigt", sagt Manfred Fischedick vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie.

"Wir sollten aufhören, den Atomausstieg immer wieder in Frage zu stellen", rät Fischedick, denn auch die Gegner des Atomausstiegs sollten nicht vergessen, dass ein Aufschnüren des Atomkonsenses wieder einige Themen auf den Tisch brächte, die man eigentlich befriedet hat: "Dann müsste man auch wieder über die Haftpflichtversicherung, über die Sicherheitsstandards und über künftig notwendige Nachrüstungen reden."

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