Ärztemangel in Bremerhaven: Keine Abtreibungen mehr möglich

In Bremerhaven ging der letzte Arzt in Rente, der ungewollt Schwangeren geholfen hat. Die Politik hat keine Möglichkeit das Angebot zu steuern.

Menschen demonstrieren gegen die Abtreibungsgesetze

Der §218 im Strafgesetzbuch verhindert staatliche Steuerung des Angebots für Abtreibung Foto: Sebastian Willnow / dpa

BREMEN taz | Am Donnerstag ist es wieder so weit. Dann beklagen die Abgeordneten der Bremischen Bürgerschaft, dass es in Bremerhaven nicht möglich ist, eine Schwangerschaft bei einem Arzt oder einer Ärztin abzubrechen. Das machen sie nicht zum ersten Mal: Das Thema kommt seit letztem Sommer regelmäßig in den Plenarsitzungen zur Sprache. Der Grund ist, dass im Dezember der letzte niedergelassene Arzt, der noch Abtreibungen durchgeführt hat, in den Ruhestand gegangen ist.

Im Durchschnitt zehn Frauen pro Woche müssen Mareile Broers, Leiterin der Pro Familia Beratungsstelle in Bremerhaven, und ihre Mitarbeiterinnen seitdem sagen, dass sie für einen Schwangerschaftsabbruch 70 Kilometer nach Bremen oder noch weiter nach Hamburg fahren müssen. Es sei denn, sie haben unverschämtes Glück und bekommen einen Termin im Klinikum Reinkenheide. Das kommunale Krankenhaus macht nach Angaben eines Sprechers nur rund 20 Schwangerschaftsabbrüche nach der Beratungsregelung im Jahr. Für mehr würden die Kapazitäten nicht reichen.

Für viele Frauen, die zu Pro Familia zur gesetzlich vorgeschriebenen Beratung vor einem Schwangerschaftsabbruch kommen, sei das ein großes Problem, sagt Broers. Entweder, weil sie sich die Fahrt mit dem Zug nicht leisten können oder kleine Kinder haben, die betreut werden müssen. Oder weil niemand davon wissen darf – wer aber den Abbruch in Vollnarkose vornehmen lässt, braucht eine Begleitung. Und manche, sagt Broers, haben einfach Angst vor der Fahrt in die Großstadt. „Die schlucken, wenn ich sage, dass das in Bremerhaven nicht geht.“

Es ist nicht so, dass die Abgeordneten der Bürgerschaft kein Mitleid mit diesen Frauen hätten. Selbst die CDU nannte in der September-Landtagssitzung die Situation in Bremerhaven „besorgniserregend“. Allein, die Po­li­ti­ke­r*in­nen wissen nicht, wie sie das Problem lösen sollen. Denn die deutschen Abtreibungsgesetze erlauben keine öffentliche Steuerung. Weder Ärz­t*in­nen noch Kliniken können zum Schwangerschaftsabbruch verpflichtet werden.

Schwangerschaftsabbrüche gelten in Deutschland als Tötungsdelikt wie Mord und Totschlag, werden aber strafrechtlich unter folgenden Voraussetzungen nicht verfolgt:

Er muss von einem Arzt oder einer Ärztin durchgeführt worden sein.

Die Frau muss sich zuvor von einer staatlich anerkannten Stelle beraten lassen.

Zwischen Beratung und Eingriff muss eine dreitägige Bedenkfrist eingehalten werden.

Wer eine Schwangerschaft nach der zwölften Woche nach Empfängnis abbrechen lassen will, braucht eine ärztliche Bescheinigung, dass das Austragen der Schwangerschaft eine unzumutbare Belastung darstellt. Diese medizinischen Indikationen werden fast nur erteilt, wenn das Kind voraussichtlich eine Behinderung haben wird.

Die Koalition aus Grünen, Linke und SPD hatte den Senat deshalb im Juli aufgefordert, „ein eigenes Fortbildungsprogramm zu Schwangerschaftsabbruchmethoden für Ärzt*innen“ anzubieten. So sollten Ärz­t*in­nen motiviert werden, die Behandlung in ihr Leistungsspektrum aufzunehmen. Nur musste Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard vor zwei Wochen mitteilen, dass auch das nicht geht. Daher gibt es jetzt keine finanzielle, sondern nur eine ideelle und organisatorische Unterstützung etwa der Fortbildung für den medikamentösen Abbruch.

Bei der SPD-Fraktion ist die Misere noch nicht ganz angekommen. Denn sie fordert in ihrer Frage für die Sitzung am Donnerstag den Senat dazu auf, seinen „Sicherstellungsauftrag“ zu erfüllen. Nur: Das tut er bereits. Denn laut Schwangerschaftskonfliktgesetz sollen die Länder ein „ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicher stellen“.

Was aber „ausreichend“ ist, ist nirgends definiert. Die einzige Stütze ist ein Satz aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das 1993 die Weichen für die gültige Rechtsordnung stellte. Dort heißt es: Es könne „eine Hilfe in der Not sein, wenn die Schwangere die An- und Rückreise – auch mit öffentlichen Verkehrsmitteln – an einem Tag bewältigen kann“. Danach ist das Angebot im Land Bremen mehr als ausreichend. In der Stadt Bremen gibt es genügend Möglichkeiten, zeitnah einen Termin für einen Schwangerschaftsabbruch zu bekommen. Jedenfalls noch.

Das liegt vor allem daran, dass Pro Familia in der Stadt Bremen eine ambulante OP-Praxis betreibt. 85 Prozent aller Schwangerschaftsabbrüche im Land Bremen werden dort durchgeführt, medikamentöse und chirurgische, in Vollnarkose und örtlicher Betäubung.

Pro Familia könnte, sagt die Landesgeschäftsführerin des Verbands, Monika Börding, eine Außenstelle in Bremerhaven betreiben. An einem Nachmittag in der Woche in den Räumen, die der letzte Abtreibungsarzt der Stadt genutzt hatte. Allerdings, sagt Börding, ginge das nur mit einem öffentlichen Zuschuss, weil die Ausgaben die Einnahmen übersteigen würden.

Die SPD fragt jetzt am Donnerstag, ob der Senat eine Möglichkeit sieht, dies „finanziell, zum Beispiel durch Übernahme der Kosten für die Räumlichkeiten, zu unterstützen“.

Bremerhavens Bürgermeister reagierte nicht

Womöglich hätte es der Senat auch günstiger bekommen können und die Lücke hätte nie entstehen müssen. Denn schon vor zweieinhalb Jahren, so erzählt es der Bremer Gynäkologe Andreas Umlandt der taz, habe er dem Bremerhavener Bürgermeister Melf Grantz (SPD) persönlich angeboten, als externer Arzt Schwangerschaftsabbrüche im ambulanten OP-Zentrum am Klinikum Reinkenheide durchzuführen.

Seit zwölf Jahren macht er dort ohnehin einmal pro Woche ambulante gynäkologische Operationen, hin und wieder auch Schwangerschaftsabbrüche. Er wäre dann für einen zusätzlichen Tag in der Woche nach Bremerhaven gefahren. „Aber ich wollte das nicht umsonst machen“, sagt Umlandt, deshalb habe er von der Stadt eine Pauschale verlangt.

Die Stadt reagierte nicht auf sein Angebot, das zeigt ein E-Mail-Wechsel, Umlandt zog es zurück. Dennoch steht sein Name für Bremerhaven auf der Liste der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Auf der können sich Ärz­t*in­nen eintragen lassen, wenn sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Doch wenn man die Callcenter-Nummer anruft, die dort für ihn angegeben ist, geht entweder niemand ran oder man hört, dass die Nummer nicht vergeben ist. Umlandt selbst sagt, es hätten sich kaum Frauen wegen eines Termins für einen Schwangerschaftsabbruch gemeldet.

Eine Lösung zeichnet sich jetzt trotzdem ab, ganz ohne Einfluss der Politik. So bereitet sich eine Bremerhavener Praxis darauf vor, den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch anzubieten.

Und dann gibt es noch ein Bremerhavener Ehepaar, das sich bei Pro Familia gemeldet hat, mit einem Hilfsangebot. „Sie wollen das Geld für Zugtickets spenden und im Notfall Frauen nach Bremen oder Hamburg fahren“, erzählt die Leiterin der Beratungsstelle, Mareile Broers. Auch sie findet es absurd, dass es einer solchen privaten Notlösung bedarf. „Aber ich bin dankbar für die Initiative, den Frauen nutzt es ja.“

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