Ärztin über Schwangerschaftsabbrüche: „219a gehört nicht in die Demokratie“

Die Regierung will den Paragrafen 219a verändern – aber an ihm festhalten. „Für uns ist das kein Kompromiss“, sagt die Ärztin Kristina Hänel.

Die Ärztin Kristina Hänel vor einer weißen Wand im Gerichtssaal Gießen

Herbst 2018: Die Ärztin Kristina Hänel vor Beginn des Berufungsprozesses im Gericht in Gießen Foto: Silas Stein/dpa

taz am wochenende: Frau Hänel, die Ministerien haben nun Eckpunkte für die Zukunft des Paragrafen 219a vorgelegt. Sie haben gesagt, Sie seien „entsetzt“. Warum?

Kristina Hänel: Weil es für uns kein Kompromiss ist. Paragraf 219a soll bestehen bleiben, sachliche Informationen werden weiterhin nicht in medizinisch ausreichender Form auf den Websites von Ärztinnen und Ärzten erscheinen dürfen.

In einem der Punkte heißt es, dass nun rechtlich ausformuliert werden soll, „dass und wie“ Ärzt*innen über ihr Tun informieren können. Ist das nicht, was Sie wollen?

Ja, es sieht so aus, als dürften wir bald sagen, dass wir Schwangerschaftsabbrüche machen – das ist der einzige Fortschritt. Und dann dürfen wir auf die Seiten von staatlichen Stellen verweisen, wo es allgemeine Informationen zu den Abbrüchen geben soll. Wofür wir uns eingesetzt haben, ist aber nicht erreicht: dass Frauen sich frei und umfänglich informieren können. Meine Homepage, wie sie jetzt im Netz steht, wäre wohl weiterhin strafbar. Wenigstens bleibt so mein Weg zum Bundesverfassungsgericht frei – das ist wohl das einzig Gute an diesem Papier.

62 Jahre, ist Allgemeinmedizinerin in Gießen. Auf ihrer Website informiert sie darüber, dass sie Schwangerschafts­abbrüche durchführt. Deswegen wurde sie im November 2017 zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt. Das Urteil wurde im Oktober 2018 in zweiter Instanz bestätigt.

Warum wäre Ihre Homepage weiterhin strafbar?

Weil ich dort auch die medizinische Aufklärung, zu der ich als Ärztin den Frauen gegenüber verpflichtet bin, zur Verfügung stelle. Also zum Beispiel, welche Methoden des Abbruchs und welche Narkoseformen bei mir möglich sind und welche Komplikationen es geben kann. Wir verweisen auf die Möglichkeit einer Kostenübernahme, und dort steht, was die Frauen mitbringen müssen und dass sie eine Begleitperson mitbringen dürfen – alle die Details eben, die für Frauen relevant sind, wenn sie vor diesem Schritt stehen. All das bleibt, so hat es den Anschein, weiter verboten.

Gesundheitsminister Jens Spahn sagt, die Bundesregierung werde „genau definieren, welche Informationen der Arzt geben darf“.

Und besonders viel wird das nicht sein. Frauen wollen sich doch von der Person, in deren Hände sie sich da begeben, ein Bild machen. Bei einem solchen Thema geht es doch schließlich auch um die Haltung des Arztes oder der Ärztin. Nicht alle behandeln die Frauen gut. Bei jedem anderen Eingriff in Deutschland kann sie sich einen Eindruck auf der Website des Arztes holen – nur bei Schwangerschaftsabbrüchen wird es ihr vorenthalten.

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Es soll nun etwa bei der Ärztekammer Listen geben, auf denen steht, wer Abtreibungen vornimmt. Wäre das Informationsdefizit, mit dem ungewollt Schwangere bisher konfrontiert sind, damit nicht behoben?

Wir haben schon im Dezember vergangenen Jahres solche Listen gefordert, um die untragbare Situation für die Frauen abzumildern. Auch da stünden dann Namen und Adressen. Aber die Leistungen sind ja sehr unterschiedlich. Viele Ärztinnen und Ärzte machen Abbrüche nur bis zur zehnten Woche nach Empfängnis, obwohl es bis zur zwölften erlaubt ist. Manche machen nur operative Eingriffe, andere medikamentöse. Das so differenziert darzustellen wird eine Liste, die ja gepflegt werden muss, nicht leisten können. Dass der Staat Verantwortung übernimmt und solche Listen zugänglich macht, ist überfällig. Aber es ersetzt nicht meine Informationspflicht als Ärztin.

Was ist so wichtig, dass es auf der Seite einer Ärztin stehen muss?

Nehmen wir nur mal die Kosten. Neulich war eine Frau in meiner Praxis, die kein Deutsch konnte. Niemand hat ihr gesagt, dass sie Anspruch auf eine Kostenübernahme hatte. Aber ihr Dolmetscher hat ihr vorgegaukelt, die Abtreibung koste 1.000 Euro, was völlig überzogen ist. Das Geld hat er sich selbst in die Tasche gesteckt – wir haben das erst hinterher erfahren. Diese Frau hatte gar keine Gelegenheit, sich zu informieren. So etwas darf es nicht geben.

Warum traut sich die Bundesregierung nicht mehr?

In diesem Papier hat sich die Lebensschützer-Ideologie durchgesetzt – deswegen ist es kein Kompromiss, sondern im Grunde ein Zugeständnis an eine religiöse Minderheit: an radikale fundamentalistische Gruppierungen innerhalb der Christen. Es gibt auf der anderen Seite ja viele Christen, Katholiken wie Protestanten, die klar für die Informationsfreiheit für Frauen sind.

Wieso verlangen Sie, dass der Paragraf aus dem Strafgesetzbuch verschwindet?

So etwas gehört nicht in eine Demokratie. Wenn ich als Ärztin rechtmäßig handle und Frauen medizinisch behandle, darf ich nicht ins Gefängnis gehen müssen, wenn ich darüber informiere. Zumal der Staat verpflichtet ist, für genug Einrichtungen zu sorgen, die Abbrüche vornehmen, und ich somit im Staatsauftrag handle. In der Realität kann ich ja fast schon froh sein, dass ich nicht mehr als Hexe verbrannt werde.

Zwei Männer tragen eine Frau an Armen und Beinen eine Treppe hinunter

Herbst 2018: Beamte tragen eine Frau aus dem Gießener Gericht, die während des Prozesses gegen Hänel demonstriert hat Foto: Silas Stein/dpa

Der Regierungsvorschlag betont den Schutz des ungeborenen Lebens. Wird er dem gerecht?

Es ist erwiesen, dass restriktive Abtreibungsgesetze keine einzige Abtreibung verhindern. Um Leben zu schützen, brauchen wir ganz andere Dinge; Zugang zu Verhütung, Gleichberechtigung der Geschlechter, eine kinderfreundliche Gesellschaft, den Kampf gegen sexualisierte Gewalt und nicht zuletzt Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen. Nicht umsonst steht die Abtreibungspille Mifegyne auf der Liste der „essential drugs“ der WHO. Selbst wenn sie mit Todesstrafe belegt ist, finden Frauen in Not den Weg zu einer Abtreibung. Aber es ist absurd, zu glauben, eine Frau würde sich durch Informationen zu einem Abbruch verleiten lassen. Das ist ein entwürdigendes Frauenbild.

An diesem Samstag sind seit Ihrer ersten Verurteilung 387 Tage vergangen. Sie haben damals gesagt, Sie seien Marathonläuferin und hätten einen langen Atem. Muss der jetzt doch länger sein als gedacht?

Daran habe ich in den letzten Tagen auch ein paarmal gedacht. Als ich vor dem Landgericht in zweiter Instanz verurteilt wurde, dachte ich, ich wäre schon beim Hammermann angekommen – also an dem Punkt, an dem der Körper nicht mehr weiterwill. Das war schon ein Schlag in den Magen. Aber jetzt denke ich: Ein Marathon entscheidet sich nicht auf den ersten Kilometern. Das wird noch ein langer Weg. Aber ich stehe hier für so viele Menschen ein, das gibt Kraft. So viele betroffene Frauen haben mir gesagt, wie wichtig es ist, dass ich diesen Kampf für sie führe.

Ihr Fall hat in Deutschland die erste Debatte seit Jahrzehnten über Schwangerschaftsabbrüche, die in Deutschland ja eine Straftat sind, ausgelöst. Wie kommt das?

Wir haben alle gedacht, es läuft schon irgendwie. Und so haben wir nicht gemerkt, dass die Rechten das Feld für sich besetzt haben. Wir haben die Leute, die ihren Angriffen ausgesetzt waren, alleingelassen. Die Hunderte angezeigten Ärzte sind einfach im Nirwana verschwunden und haben aus Angst nachgegeben. So sind auch die letzten Informationen, die Frauen doch brauchen, aus dem Netz verschwunden. Übrig geblieben sind diese widerlichen Seiten der Abtreibungsgegner, auf denen Abbrüche mit dem Holocaust und wir mit Mörderinnen gleichgesetzt werden. All das haben wir zugelassen. Aber damit ist jetzt Schluss, und das hat dieses Jahr gebracht, und das ist wunderbar.

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