Afghanistan-Untersuchungsausschuss: Die deutsche Verantwortung

Mit dem Afghanistan-Rückzug befasst sich seit einem Jahr ein Untersuchungsausschuss im Bundestag. Im Umgang mit Ortskräften wird ein Schema deutlich.

Ein Mann durchsucht einen anderen Mann vor einem Auto an einem Chekcpoint

Ein Taliban-Kämpfer durchsucht einen Mann an einem Kabuler Checkpoint am Donnerstag Foto: Ali Khara/reuters

BERLIN taz | Ein kurzes Lächeln huscht über das Gesicht des Obersts der Bundeswehr. „Ja“, sagt er, ein Soldat aus seiner Einsatzgruppe habe spätabends das gefälschte Dokument aufgesetzt, mit dem afghanische Ortskräfte das chaotische Kabul verlassen und nach Deutschland ausreisen konnten. Der große Mann im grauen Dienstanzug wiederholt mit fester Stimme, was einige Ausschussmitglieder kaum glauben können: Die Bundeswehr hat nach dem Fall Kabuls an die Taliban im August 2021 auch kreative Methoden bemüht, um Menschen aus dem Land zu helfen.

Seit einem Jahr befasst sich der Bundestag in einem Untersuchungsausschuss mit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Die damit verbundenen Bilder haben sich ins Gedächtnis gebrannt: Taliban-Konvois, die auf Kabul vorrücken, Checkpoints in den Straßen der Stadt, Menschen, die sich in ihrer Verzweiflung an die Tragflächen startender Flugzeuge hängen. Immense Fragen stehen mit dem Einsatz der Nato in Afghanistan in Verbindung, auch das Erbe der Bundeswehr dort ist längst noch nicht geklärt. Der Untersuchungsausschuss befasst sich dabei mit einem kleinen Teil der deutschen Verantwortung in dem Land: dem Verbleib der Menschen, die dort für Deutschland gearbeitet haben, den Ortskräften.

„Ich finde, das mit dem Schrei­ben war eine geniale Idee“, sagt Oberst Hans-Christoph G. Ende Juni beantwortet er als Zeuge in der 42. Sitzung des Untersuchtungsausschusses die Fragen der Abgeordneten. Als Einsatzgruppenleiter im Einsatzführungskommando hatte er den Abzug des deutschen Kontingents aus Afghanistan geplant und dabei nach eigenen Angaben auch auf die Berücksichtigung der Ortskräfte gedrängt. „Ich konnte jeden und jede verstehen, die Afghanistan verlassen wollten“, so der Oberst.

An einem Abend Mitte August 2021 musste es schnell gehen: Die Taliban hatten Kabul eingenommen, der afghanische Präsident Ashraf Ghani hatte sich ins Exil in die Vereinigten Arabischen Emirate abgesetzt. Die Deutschen erreicht die Nachricht, dass in einem Bus der Schweizer Botschaft zum Kabuler Flughafen noch Plätze frei seien, ob es nicht Menschen gebe, die darin mitfahren wollten. Die Bedingung sei: ein offizielles Dokument für die Checkpoints. „Es musste schnell gehen, einmalig sein und offiziellen Charakter haben“, sagt der Oberst im Ausschuss.

Die Ministerien machten einfach weiter wie bisher

So sei ein Schreiben mit einer falschen Kontaktadresse des Bundestags, wohl aber mit Bundesadler im Briefkopf, entstanden; ein Passierschein, der Wirkung gezeigt habe. „Es war eine Nacht-und-Nebel-Aktion, aber es hat bis auf in einem Fall funktioniert“, sagt der Oberst. Er habe mehrfach Vorschläge eingebracht, um ein Chaos bei den lokalen Mit­ar­bei­te­nden nach dem Abzug zu verhindern: Das Auswärtige Amt solle eine temporäre Visa-Abteilung am Standort der Bundeswehr in Masar-i-Scharif in Afghanistan eröffnen, oder man solle für Ortskräfte ein sogenanntes Visa-bei-Ankunft-Verfahren ermöglichen, damit Betroffene nach ihrer Gefährdungsanzeige nach Deutschland fliegen können und ihr Visum hier erhalten.

Beide Ratschläge des Obersts seien von den zuständigen Behörden, dem Innenministerium und dem Auswärtigen Amt, lange nicht gehört worden: „Mit bürokratischen Kleinkram sind die Menschen hin und her geschickt worden. Alles Dinge, die nicht helfen, wenn man schnell sein will.“

Nach einem Jahr Arbeit im Untersuchungsausschuss wird immer deutlicher, wie die betroffenen Häuser, das Innenministerium, das Entwicklungsministerium, das Auswärtige Amt und das Verteidigungsministerium, in ihren eigenen Logiken verhaftet blieben und auch in der chaotischen Abzugsphase kaum davon abwichen.

Im September 2021 standen Bundestagswahlen an, und im Innenministerium von CSU-Mann Horst Seehofer war man darauf bedacht, die Zahl der Ortskräfte in Deutschland gering zu halten – Abschiebungen nach Afghanistan wurden erst am 11. August, vier Tage vor dem Fall Kabuls, ausgesetzt.

Angela Merkel wird im Winter 2024 erwartet

Auch im Ortskräfteverfahren stand Seehofers Innenministerium auf der Bremse, mehrfach betonten Mit­ar­bei­te­r*in­nen im Untersuchungsausschuss, wie sie auch in den turbulentesten Wochen auf „ordentliche Verfahren“ bestanden hatten und dass eine Visavergabe bei Ankunft in Deutschland nicht vorgesehen gewesen sei.

Auch im Entwicklungsministerium, das beim Fall Kabuls etwa 1.000 Ortskräfte in der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) beschäftigte, deutet vieles darauf hin, dass man nicht an einer vereinfachten Ausreise von Ortskräften nach Deutschland interessiert war. Zu sehr war man (und ist man auch weiterhin) auf die lokalen Mit­ar­bei­te­r*in­nen angewiesen. Eine Zeugin aus dem Ministerium sprach am Donnerstagabend im Ausschuss von einer politischen Entscheidung. „Wir haben gegenüber 40 Millionen Afghanen eine Verantwortung gespürt und haben dafür auch die Ortskräfte gebraucht.“

Bislang wurden im Ausschuss Mitarbeitende und Re­fe­rats­lei­te­r*in­nen gehört. Sie sind Ent­schei­dungs­trä­ge­r*in­nen für die großen Fragen im Kleinen. Große Antworten erhofft sich der Untersuchungsausschuss ab kommendem Jahr: Dann werden die Staatssekretäre erwartet – und ab Winter 2024 auch etwa Seehofer und Angela Merkel.

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