Altersarmut in Deutschland: Ein Drache aus alten Feuerzeugen

Für viele Menschen in Rente ist jeden Tag Energiekrise. Ständig müssen sie sich fragen, wo und was sie einsparen können, weil sie zu wenig Geld haben.

Menschen unterschiedlichsten Alters am Strand im Sommer

Wo man auch als Rentnerin Urlaub machen kann: Karon Beach in Phuket Foto: Olaf Schuelke/imago

Die Babyboomerin in Rente erfindet sich immer wieder neu und kümmert sich dabei nicht um gewisse mediale Diskurse. In politischen Debatten ist die Rentnerin vor allem ein soziales Problem: Sie arbeitet nicht mehr (trotz Fachkräftemangel!), sie zieht keine Kinder auf, lebt womöglich ziemlich lange (Rentenmisere!) und landet am Ende im Seniorenheim (Pflegekatastrophe!).

Hach, die alten Frauen leben zu lang und reißen das ganze Sozialsystem in den Abgrund. Nach dieser Logik ist der Herzinfarkt die Rettung des Sozialstaats, weil er das Leben, meist das der Männer, früh beendet und Renten, Pensionen und Pflege spart. Sterbt schneller!

Wie wäre es, mal die Perspektive zu ändern? Liefern die Alten, erst recht die ganz Alten, nicht in Wirklichkeit Modelle, wie man mit Einschränkungen, mit Krisen umgehen kann, ohne den Spaß am Leben zu verlieren? Das Alter ist gewissermaßen eine Art private Rezession, eine Energiekrise, die es zu meistern gilt. Wobei der ältere Mensch allerdings wärmere Raumtemperaturen braucht als der jüngere, wegen der geringeren Muskelmasse.

Neulich surfte ich in der Facebook-Gruppe „Retiring on a shoestring“ in den USA. Wie kommt man mit wenig Geld durch den Ruhestand? Damit beschäftigen sich die Leute. Brad aus Alaska zum Beispiel. Das Haus sei abbezahlt, schreibt er, die Tiefkühltruhe gut gefüllt mit Elch- und Karibufleisch. Der Garten liefere Gemüse, Hühner ihre Eier. „Life is good.“ Fernab der Zivilisation sind Häuser eben billiger.

Perley ist Schriftstellerin und auf eine thailändische Insel gezogen. Sie baut Skulpturen aus alten Feuerzeugen, die sie am Strand findet, zusammenklebt und farbig lackiert. Der riesige grün-goldene Drache auf dem Foto sieht großartig aus – das Leben in Thailand ist für eine Rentnerin aus dem Westen erschwinglich.

Soll man eine Wohngemeinschaft gründen wie in der Kult-Fernsehserie „Golden Girls“ oder doch lieber nach Idaho ziehen, um Geld zu sparen?, fragen sich die Gruppenmitglieder. Dass man Klamotten in Schichten anzieht wegen der besseren Isolierung und den Thermostat an der Heizung herunterdreht, dass man sich über die Libby-App kostenlos Bücher aus dem Internet herunterlädt und sich Heimwerkertipps über Youtube besorgt, senkt das die Ausgaben. Außerdem nie hungrig zum Einkaufen gehen, man kauft sonst immer zu viel, rät Susan.

Meine Freundin Hille hat mir einen Krimi der britischen Serie „Der Donnerstagsklub“ geliehen, er spielt in einer Seniorenwohnanlage. Neben der Krimihandlung diskutieren die Alten über Buddhismus, Hundehaltung und darüber, ob ein Rollator die Silhouette ruiniert, weil man hinter dem filigranen Gestell automatisch dicker wirkt. Die Bücher verkaufen sich millionenfach.

Hille zeigt mir die Website eines britischen Vertriebs für Gehhilfen mit wirklich großer Auswahl. „Ich will später mal den Rollator mit Leopardenfell“, meint Hille. „Ich würde den mit Strass nehmen“, sage ich. Man weiß nie, was noch kommt.

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Redakteurin für Sozialpolitik und Gesellschaft im Inlandsressort der taz. Schwerpunkte: Arbeit, soziale Sicherung, Psychologie, Alter. Bücher: "Schattwald", Roman (Piper, August 2016). "Können Falten Freunde sein?" (Goldmann 2015, Taschenbuch).

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