Amtsverzicht Ministerpräsident Davutoğlu: Zu viel Haltung

Der türkische Präsident Erdoğan hat sich durchgesetzt. Ministerpräsident Davutoğlu verliert seinen Posten – er war wohl nicht biegsam genug.

Erdogan Premier Davutoglu nehmen an einer Beerdigung teil

Da waren sie noch vereint: Präsident Erdoğan (Bildmitte, rechts) und Premier Davutoğlu (Bildmitte, links) im Februar Foto: reuters

ISTANBUL taz | Ärgerlich für Angela Merkel: Der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu, mit dem sie den umstrittenen EU-Türkei Flüchtlingsdeal aushandelte – und den sie in den letzten Monaten wohl häufiger getroffen hat als ihren Vizekanzler Sigmar Gabriel –, ist Geschichte. Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat durchgesetzt, dass der Premier gehen muss.

Am Mittwochabend musste er im Präsidentenpalast antreten. Zwar hat der Präsident formal nicht die Kompetenz, den Ministerpräsidenten zu entlassen. Aber er hatte sich zuvor der Unterstützung des Vorstands der regierenden AKP versichert. Der beschloss dann den Abgang Davutoğlus auf einer Sitzung am Donnerstag.

Am 22. Mai soll nun ein außerordentlicher AKP-Parteitag stattfinden, bei dem Davutoğlu nicht mehr für das Amt des Parteivorsitzenden kandidiert. Nach den Statuten der AKP wird der neue Parteichef dann automatisch von der Mehrheit der Abgeordneten im Parlament zum neuen Ministerpräsidenten gewählt.

In seiner Abschiedsrede am Donnerstag vermied Davutoğlu eine direkte Kritik an Erdoğan. Er beklagte stattdessen, dass der Parteivorstand ihm in den Rücken gefallen sei. Indirekt machte er aber klar, dass der Grund seines Rauswurfes seine eigenständige Haltung als Ministerpräsident war:

Als er im August 2014 das Amt des Parteivorsitzenden und Premiers übernommen hatte, habe zwischen ihm und Erdoğan Einverständnis darüber geherrscht, sagte er, dass beide jeweils eigenständige starke Positionen haben sollten.

Die Probleme des Landes

Das gilt wohl schon länger nicht mehr. Erdogan ärgerte offenbar besonders, dass Davutoğlu das Projekt einer neuen Präsidialverfassung nicht energisch genug vorangetrieben habe. Mit ihr würde Präsident Erdoğan die gesamte exekutive Macht erhalten. Erst kürzlich hatte Davutoğlu in einem Interview erklärt, die Türkei habe im Moment andere, größere Probleme.

Zweitens soll Erdoğan dem Premier vorgeworfen haben, gegen die kurdisch-linke HDP im Parlament nicht hart genug durchgegriffen zu haben. Der Präsident beschuldigt die HDP schon lange, der parlamentarische Arm der kurdischen PKK-Guerilla zu sein. Er will insbesondere die HDP-Parteivorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ im Gefängnis sehen. Der Premier beharrte dagegen darauf, im Prozess der Aufhebung der Immunität der kurdischen Politiker wenigstens einige demokratische Mindeststandards einzuhalten.

Und drittens soll der Präsident dem Premier vorgehalten haben, dass er mit westlichen Politikern, insbesondere Angela Merkel, zu eng zusammenarbeite. Seiner Meinung nach ist Davutoğlu der EU mit dem Flüchtlingspakt zu weit entgegengekommen.

Für die weitere Zusammenarbeit zwischen der Türkei und der EU bedeutet der Rauswurf Davutoğlus deshalb nichts Gutes. Das Abkommen war sein Projekt, ohne ihn wird die Umsetzung nun wesentlich schwieriger werden.

Das betrifft zuerst die Visafreiheit, für die die EU von der Türkei noch die Umsetzung von insgesamt fünf Punkten verlangt, darunter die Präzisierung der vage formulierten türkischen Anti-Terror-Gesetzgebung. Die EU will das geändert haben, aber Erdoğan wird dafür wenig Verständnis zeigen.

Erdoğans Verhältnis zur EU

Nach Ansicht des Präsidenten tut im Gegenteil die EU seit Langem viel zu wenig gegen die Aktivitäten der PKK in Europa. Erdoğan dürfte deshalb die weiteren Forderungen der EU ablehnen und stattdessen damit drohen, ab sofort die Flüchtlinge wieder in Richtung Griechenland ziehen zu lassen.

Mit dem Rauswurf des Premiers wird nun auch der Weg für die schnelle Kriminalisierung der kurdischen Abgeordneten frei. Erdoğan verfolgt damit zwei Ziele: Er will die Unterstützung der PKK schwächen. Zudem würden durch den Abgang der HDP 25 Prozent der Sitze im Parlament frei. Bei einer Nachwahl erhofft sich Erdoğan genügend zusätzliche Mandate für die AKP, um anschließend ohne Stimmen aus der Opposition eine neue Verfassung verabschieden zu können.

Wer wird Nachfolger Davutoğlus? Wichtigste Voraussetzung für den neuen Mann dürfte die völlige Loyalität dem Präsidenten gegenüber sein, sagen politische Beobachter übereinstimmend. Immer wieder fällt der Name des Energieministers Berat Albayrak. Der junge Mann hat aus Sicht Erdoğans einen unschlagbaren Vorteil: er ist sein Schwiegersohn.

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