Antimuslimischer Rassismus in Berlin: Abwertung als Alltag

Zwei Initiativen und ihr aktueller Bericht zu diskriminierenden Vorfällen zeigen: Antimuslimischer Rassismus ist auch in Berlin ein großes Problem.

Drei Frauen, die Kopftuchtragen, unterhalten sich amüsiert bei einer Protestaktion gegen die Diskriminierung von kopftuchtragenden Menschen. Davor läuft eine Person mit Kopftuch durch das Bild.

Bespuckt, beleidigt, angefeindet: Muslimfeindlichkeit betrifft häufig Menschen, die Kopftuch tragen Foto: Karsten Thielker

BERLIN taz | Zwei Frauen mit Kopftuch stehen auf den Treppen des U-Bahnhofs Bismarckstraße in Charlottenburg. Ein älterer Mann beschwert sich, dass sie im Weg stünden. Auf den Hinweis, dass er sie ja ansprechen könnte, erwidert er: „Die verstehen ja eh kein Deutsch.“ Der Vorfall fand bereits vor zweieinhalb Jahren statt. Für viele Mus­li­m*in­nen sei das jedoch Alltag, sagt Jouanna Hassoun vom Berliner Recherche- und Dokumentationsprojekt Antimuslimischer Rassismus (Redar). „Frauen, die Kopftuch tragen, gelten als dumm, unterdrückt oder ihnen wird nachgesagt, dass sie die Sprache nicht verstehen.“

Die Situation ist eine von vielen, die Hassoun am Montag beim Spaziergang „Antimuslimischen Rassismus sichtbar machen“ in Charlottenburg-Wilmersdorf erzählt. Eine andere: Einem jungen Mann wurde die Teilnahme an der Zwischenprüfung am Vorabend telefonisch verboten. Die IHK habe nicht geglaubt, dass jemand mit muslimischem Namen nur Einsen hat. Erst nach Nachforschungen der IHK, ob ein Betrugsfall vorliegt, wurde die Erlaubnis zur Zwischenprüfung erteilt. Der junge Mann verlor sechs Monate Ausbildungszeit.

Ein anderer Mann wurde von einer Kollegin als „Mörder“ beschimpft. Die Begründung: „Moslems sind Mörder also bist du auch ein Mörder.“ Beide Männer haben aus Angst vor negativen beruflichen Konsequenzen bisher keine rechtlichen Schritte eingeleitet. Sie haben die Vorfälle jedoch an Redar gemeldet und bekommen emotionale Unterstützung durch das Projekt.

So unterschiedlich die Vorfälle sein mögen, das Problem ist das gleiche: antimuslimischer Rassismus, also die Ablehnung und Abwertung des Islam und von Muslim*innen. Betroffen davon sind Personen, die aufgrund ihres Aussehens, Namens oder anderer Merkmale für Mus­li­m*in­nen gehalten werden.

Ein gesamtgesellschaftliches Problem, das auch in Berlin wirkt

Wie tief verankert dieser Rassismus in der deutschen Gesellschaft ist, das hat eine Studie im Auftrag des Bundesinnenministeriums erst in der vergangenen Woche aufgezeigt. Etwa je­de*r Zweite teilt muslimfeindliche Vorurteile. Wie sich dieser Rassismus im Berliner Alltag zeigt und wie er sich für Betroffene anfühlt, soll der Spaziergang sichtbar machen, den Hassoun gemeinsam mit Caro Wenzel vom Berliner Register Charlottenburg-Wilmersdorf veranstaltet.

Daten dazu liefert der aktuelle Jahresbericht zu antimuslimischem Rassismus in Berlin 2022 von Redar und den Berliner Registern, der am Samstag veröffentlicht wurde. Daraus geht hervor, dass die erfassten Vorfälle zu antimuslimischem Rassismus in den vergangenen beiden Jahren leicht zurückgegangen sind. Wurden im Jahr 2020 noch 290 Vorfälle gemeldet, so waren es 2021 noch 174 und im zurückliegenden Jahr 125. Auf Bezirksebene wurden die meisten muslimfeindlichen Vorfälle in Mitte (48) in Lichtenberg (21) und in Friedrichshain-Kreuzberg (11) gemeldet.

Die rückläufigen Zahlen muslimfeindlichen Rassismus sind allerdings kein Anlass zum Aufatmen. Auch weil die Dunkelziffer um ein Vielfaches höher liegen dürfte. „Der Rassismus ist für viele Menschen so alltäglich, dass sie ihn einfach ignorieren“, sagt Hassoun. Viele Menschen, zu denen sie Kontakt hat, seien skeptisch, ob das Melden irgendetwas bringt. „Sie denken, dass sie im Zweifel sowieso kein Recht bekommen und am Ende noch mehr Kopfschmerzen haben, wenn sie es melden.“

Und noch aus einem anderen Grund sei anzunehmen, dass die Anzahl nicht erfasster Fälle in den vergangenen beiden Jahren weit höher liegt. Ein Kooperationsverein der Berliner Register habe seit 2021 keine Fälle mehr gemeldet, heißt es im Bericht. Das neue Dokumentationsprojekt Redar müsse sich nun erst in den verschiedenen muslimischen Communities bekanntmachen und Vertrauen aufbauen, um von den Betroffenen als Anlaufstelle im Diskriminierungsfall genutzt zu werden. Die Zahlen könnten also in den Folgejahren wieder steigen.

Ein Balkendiagramm dass die Diskriminierung in Berlin nach Motiven erfasst. Rassismus ist mit 1132 Vorfällen das häufigste Motiv.
Rechts­ex­tre­mis­t*in­nen hetzen aktuell gegen anderen Feindbilder

Und der Bericht liefert noch eine weitere Erklärung für den Rückgang erfasster Vorfälle antimuslimischen Rassismus. Die extreme Rechte habe in den vergangenen Jahren ihren Fokus verschoben. Bis 2018 mobilisierten Rechts­ex­tre­mis­t*in­nen in Berlin noch regelmäßig zu muslimfeindlichen Bärgida-Demonstrationen. Insgesamt fanden in jenem Jahr 60 muslimfeindliche Veranstaltungen statt. 2022 waren es nur drei.

Insgesamt sei die Zahl rechtsextremer Veranstaltungen jedoch nicht gesunken, nur die Motive haben sich laut Bericht verändert: „Die Veranstaltungen sind häufig verschwörungsideologisch ausgerichtet. Sie richten sich gegen geflüchtete Menschen im Allgemeinen und gegen Jüd*innen. Politiker*innen, Wis­sen­schaft­le­r*in­nen und Pres­se­ver­tre­te­r*in­nen werden zu neuen Feindbildern aufgebaut.“ Auch die im Bericht enthaltenen Vergleichszahlen mit erfassten Vorfällen von Antisemitismus oder LGBTIQ*-Feindlichkeit belegen das.

Wie die vom Bundesinnenministerium veranlasste Studie der Vorwoche aufzeigt, ist der Boden für antimuslimischen Rassismus deshalb nicht weniger fruchtbar. Für Hassoun ist klar: „Wir müssen Muslimfeindlichkeit weiter sichtbar machen.“

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