Arbeitsbedingungen in der Game-Branche: Überstunden als Standard

Das Spiel „Cyberpunk 2077“ war voller Fehler und die Ent­wick­le­r:in­nen litten unter schlechten Arbeitsbedingungen. Seitdem hat sich viel getan.

Eine Person mit dicker Lederjacke und rot gefärbten kurzen Haaren steht vor einem knallgelben Häuserkulisse

Der non-binäre Charakter V muss in „Phantom Liberty“ die Präsidentin vor Kriminellen beschützen Foto: cyberpunk.net

Selten waren die Erwartungen gegenüber einem Videospiel höher als bei „Cyberpunk 2077.“ Das Science-Fiction-Rollenspiel vom polnischen Entwicklerstudio CD Projekt Red sollte 2020 neue Maßstäbe setzen, eine immersive Welt schaffen. Doch als das Spiel veröffentlicht wurde, hatten die Spie­le­r:in­nen es mit einem unfertigen Produkt zu tun.

Überall gab es Programmierungsfehler, die zu Abstürzen und zerstörten Spielständen führten. Viele der versprochenen Inhalte fehlten und einige Konsolen konnten das Spiel nicht einmal abspielen.

Noch dazu gab es Berichte über desaströse Arbeitsbedingungen bei CD Projekt Red. Sony nahm das Spiel kurzfristig sogar vom Markt. In den letzten Jahren hat das börsennotierte Studio zahlreiche kostenlose Updates nachgereicht. Mit „Phantom Liberty“ bringt CD Projekt Red nun seine einzige, dafür aber groß angelegte Erweiterung für das Hauptspiel heraus. Im Gegensatz zu „Cyberpunk 2077“ hält der neue Inhalt seine Versprechen ein.

Die Spielfigur V – Geschlecht frei wählbar – betritt in „Phantom Liberty“ den neuen Stadtteil „Dogtown.“ Es ist ein zerrütteter Ort. An jeder Straßenecke werden Drogen angeboten, schwerbewaffnete Gangs patrouillieren. V verschlägt es in diese Zone, weil das Flugzeug der Präsidentin dort abgestürzt ist. Es liegt nun an den Spie­le­r:in­nen, sie zu retten. Die Präsidentin greift dabei selbst zur Waffe.

Starauftritte im Spiel

Ihre Charakterzeichnung wandelt zwischen klischeehafter „Powerfrau“ und eloquenter Diplomatin und ist in ihren spitzen Dialogen durchaus sympathisch. Sie und V versuchen die Außenwelt zu kontaktieren und treffen dafür einen Agenten im Untergrund. Dieser wird von niemand anderen verkörpert als Hollywoodgröße Idris Elba. Schon das Hauptspiel sorgte für Aufsehen, als bekannt wurde, dass Internetliebling Keanu Reeves eine der Hauptrollen spielt. Auch in „Phantom Liberty“ ist er mit dabei.

Das Studio selbst nennt die Erweiterung des Spiels einen „Noir-Cyberpunk-Spionage-Thriller“. Durch neue Funktionen, Waffen, Fahrzeuge und Nebenmissionen wirkt es fast so, als handle es sich um ein neues Spiel. Doch auch hier gibt es Programmierungsfehler, allerdings längst nicht so fatal wie 2020.

Bei der Erstveröffentlichung des Spiels waren es nicht nur die groben Fehler im Spiel, die für Schlagzeilen sorgten. Auch über die Entwicklung von „Cyberpunk 2077“ gab es damals alarmierende Meldungen: 16-Stunden-Schichten, verpflichtende Überstunden, Sechstagewoche. Mit einem solchen Umfeld ist CD Projekt Red kein Einzelfall. Überstunden, die Verdopplung oder gar Verdreifachung der Arbeitszeit und Burn-out sind keine Seltenheit in der Gamingbranche.

Überstunden sind Standard

Der sogenannte „crunch“, also die obligatorischen Überstunden, ist inzwischen besonders bei großen Produktionen ein Industriestandard. Zuletzt hatte das renommierte deutsche Studio „Mimimi Games“ erklärt, keine Spiele mehr entwickeln zu wollen. Der Grund: Die Ent­wick­le­r:in­nen möchten das eigene Wohlergehen und ihre Familien priorisieren. Der wachsende Druck der Branche sei zu hoch, man könne ihm nicht mehr länger standhalten.

Die Spieleindustrie ist eine rasante Branche mit hoher Fluktuation und großen technologischen Sprüngen. Und sie ist eine vergleichsweise junge Branche, die erst seit den frühen 2000er Jahren vom Mainstream beachtet wird. Inzwischen ist das Geschäft mit Videospielen größer als die Musik- und Hollywoodindustrie zusammen, die Umsätze betrugen im letzten Jahr rund 200 Milliarden Euro. Doch Gewerkschaften gibt es keine. Obwohl es in den letzten Jahren immer wieder zu Streiks kam und die Ent­wick­le­r:in­nen ihre Frustration über befristete Verträge und das toxische Arbeitsklima stärker nach außen kommunizierten.

Bewegt hat sich auch etwas bei CD Projekt Red. Laut eigener Aussage hat das Studio nun 12 bis 13 Mit­ar­bei­te­r:in­nen ausgewählt, die als Brücke zwischen dem Management und den Entwicklungsteams fungieren sollen. Das sogenannte RED Team Representatives ist demokratisch gewählt und soll die Positionen und Anliegen der Teams an das Management herantragen.

Das erinnert an die Funktion eines regulären Betriebsrats. Nach polnischem Recht ist es ab zehn Ar­beit­neh­me­r:in­nen möglich, eine Gewerkschaftsvertretung zu gründen. CD Projekt Red hat knapp 900 Mitarbeiter:innen. Dass solche Wege erst jetzt etabliert werden, reflektieren die Arbeitsverhältnisse einer zutiefst neoliberalen Branche. Immerhin: Das bessere Arbeitsklima scheint positive Auswirkungen auf „Phantom Liberty“ gehabt zu haben.

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