Die Waffe im Machtkampf ist Erdöl

Der staatliche Erdölkonzern PDVSA spielt bei den Unruhen in Venezuela eine zentrale Rolle: An ihm hat sich der Streit entfacht, jetzt kann er das Land nicht mehr versorgen

Vor einem möglichen Angriff auf den Irak versiegt den USA eine wichtige Ölquelle

BUENOS AIRES taz ■ Mit 521.900 Barrel Benzin in den Ladekammern erreichte der brasilianische Tanker „Amazon Explorer“ am Samstag die Bucht von Pozuelos an der Küste von Venezuela. Die Ladung war bestimmt für die Raffinerien des Landes. Es scheint absurd: Venezuela, der fünftgrößte Erdölexporteur der Welt, muss Benzin importieren.

In der Hauptstadt Caracas drängeln sich kilometerlange Schlangen an den Tankstellen. Manch einer wartet zwei Tage, um an Sprit zu kommen. Da der Gütertransport fast komplett auf der Straße abgewickelt wird, droht in vielen Städten der Versorgungsnotstand. Seit mehr als einem Monat blockiert ein Generalstreik das Land. Ziel der Streikenden, die sich aus Unternehmerverbandsfunktionären, Gewerkschaftern und Ölmanagern zusammensetzen, ist es, Präsident Hugo Chávez zu stürzen.

Der Schlüssel dazu liegt in der Ölindustrie. Etwa drei Millionen Barrel produziert Venezuela sonst täglich. Gegenwärtig sind es 400.000. Bislang hat der Streik den staatlichen Erdölkonzern Petroleós de Venezuela (PDVSA) rund 130 Millionen US-Dollar gekostet. Wie viel es am Ende sein werden, ist nicht abzuschätzen, meint sein Präsident Alí Rodriguez. Mehr jedoch als den finanziellen Verlust fürchtet er um den Ruf des Landes: „Venezuela war immer ein zuverlässiger Lieferant, niemals haben wir Öllieferungen ausgesetzt.“

Rodriguez war von 2000 bis 2002 Opec-Generalsekretär, ehe er Ende April von Chávez zum PDVAS-Chef gemacht wurde. Der ehemalige Guerillero ist einer der wichtigsten Vertrauten des Präsidenten. Ein wichtiger Teil seines Jobs ist es, die alte Konzernelite auszuschalten, die PDVSA als Staat im Staat betrieben hat – Rodriguez hat sich damit nicht nur Freunde gemacht. Seit Streikbeginn ruft ihn Chávez regelmäßig an, um sich zu informieren. Rodriguez sieht müde aus und abgearbeitet. Zurzeit schläft er gerade einmal zwei bis drei Stunden pro Nacht, sagt er.

Die Turbulenzen in Venezuela machen auch den USA Sorgen. Ausgerechnet vor einem möglichen Angriff auf den Irak versiegt eine ihrer wichtigsten Ölquellen. 14 Prozent seines Erdölbedarfs tankt Washington in Venezuela. Doch dieser Tage verlassen nur wenige Tanker die Häfen. Statt 20 Schiffe wie zu normalen Zeiten waren es in der vergangenen Woche nur zwei pro Tag. Ersatz zu besorgen, dauert. Das Ölgeschäft ist so inflexibel wie ein Hochseetanker.

Und die Produktionsstätten sind empfindlich. Laut Rodriguez sollen Manager und Ingenieure PDVSA „sabotiert“ haben. Sie hätten einfach die Computercodes für die Steuerung der Pipelines ausgetauscht und die Passwörter für die Software der Raffinerien und Verteilungszentren geändert. Damit stehe PDVSA still. Präsident Chávez: „Wir haben es mit einer Konspiration des Managements zu tun.“ Stimmt nicht, sagt Juan Fernández, ehemaliger Finanzchef Internationales bei PDVSA. Ein Streik der Ölarbeiter lege das Unternehmen still.

Wahr ist vermutlich beides: Ein Teil der Arbeiter streikt, und Mitarbeiter des Managments blockieren den Betrieb, um gegen Rodriguez anzugehen. Wenn kein Öl mehr durch die Pipelines fließen kann, laufen irgendwann die Tanks der Förderstellen voll und die Bohrungen müssen gestoppt werden.

Bis PDVSA nach Streikende wieder normal arbeiten kann, wird mindestens ein Monat vergehen. Manager Fernández hat den Streik gegen Chávez angezettelt, weil er mit der Firmenphilosophie nicht einverstanden war. „Chávez will PDVSA politisieren“, behauptet er. „Die Firma soll sein politisches Projekt unterstützen.“ Fernández rechnet vor: Auf dem einheimischen Markt macht PDVSA jährlich einen Verlust von 1,5 Milliarden Dollar, weil sie Benzin zu billig an Tankstellen liefere. Diese Subventionen sollten aus der Staatskasse fließen und nicht aus der Firmenkasse. Auch sieht Fernández in der Hochpreispolitik der Regierung – Angebot verknappen und Preis steigern – einen Fehler. Dies sei zu kurzsichtig.

Aber sind das ausreichende Gründe, um ein Land einen Monat lang zu blockieren? „Chávez ist kein Demokrat, er muss weg“, schimpft Fernández. Zunächst ist aber er selbst weg vom Fenster. Vor zwei Wochen erhielt er ein Telegramm, in dem ihm seine Entlassung mitgeteilt wurde. „Wir haben den Saboteuren eine Woche Bedenkfrist gegeben“, sagt Rodriguez. „Wer danach nicht eingelenkt hat, ist entlassen.“ Dabei gibt es Sprit. In Fuerte Tiuna, einem Ort nahe Caracas, wo viele Unterstützer von Chávez leben, geht das Benzin nie aus. Sobald eine Tankstelle keinen Treibstoff mehr hat, bestellt die Nationalgarde einen Tankwagen. INGO MALCHER