KENIAS ZWEI ZUKÜNFTE: ALLES WIRD BESSER ODER BLEIBT BEIM ALTEN
: Die Stimmung gibt Anlass zur Hoffnung

Jede Geschichte lässt sich auf – mindestens – zwei verschiedene Arten erzählen. Zum Beispiel so: In Kenia hat das Volk in einer demokratischen Abstimmung ein korruptes Regime abgewählt und freut sich jetzt auf eine bessere Zukunft. Oder so: Der neue Präsident hat dem bisherigen Amtsinhaber, der aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht mehr kandidieren durfte, viele Jahre gedient, unter anderem als Stellvertreter. Zahlreiche Oppositionsanhänger sehen in dem Wechsel vor allem eine Chance, sich endlich selbst der Pfründen des Landes zu bemächtigen. Für die Bevölkerung wird sich also vermutlich wenig ändern. Beide Versionen lassen sich überzeugend begründen.

Es muss um ein Land schon ziemlich schlecht bestellt sein, wenn ausgerechnet ein 71-jähriger Berufspolitiker, der lange zu den Machthabern gehörte, plötzlich zum Hoffnungsträger einer neuen Demokratie wird. Aber um Kenia ist es eben schlecht bestellt. Folter, politischer Mord, ethnisch motivierte Vertreibungen, geplünderte Staatskassen und systematisierte Korruption: Das ist die Bilanz der 24-jährigen Amtszeit von Daniel arap Moi, dem der Westen lange die Stange gehalten hat. Noch Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges genügte der glühende Antikommunismus des kenianischen Präsidenten, um Gelder fließen zu lassen.

Wer einen Beweis dafür braucht, dass die Mächtigen ein taktisches Verhältnis zu den Menschenrechten haben, der kann zu Recht auf Kenia verweisen. Wenn es dort nennenswerte Bodenschätze oder gar Öl gäbe – der Rest der Welt hätte dem Niedergang des Landes kaum tatenlos zugesehen. Aber darüber verfügt Kenia nicht. Deshalb wurden die Verbrechen des Regimes achselzuckend und zynisch als Teil einer vermeintlichen Normalität in der Dritten Welt zu den Akten gelegt. Eine unglaubliche Verhöhnung der Opfer.

Was spricht dafür, dass sich die Verhältnisse nun tatsächlich ändern werden? Zweierlei gibt Anlass zur Hoffnung. Zum einen die Stimmung im Lande selbst: Wenn eine Mehrheit der Kenianer glaubt, dass sich alles zum Besseren wenden wird, dann kann diese Stimmung eine Eigendynamik erzeugen, der sich auch beutehungrige Politiker nur schwer zu entziehen vermögen. Zumindest einige Wochen lang darf kein bestechlicher Polizist sicher sein, dass die neue Regierung sein Verhalten ebenso stillschweigend dulden wird wie die alte. Wird diese Zeit genutzt, dann mag das Fundament für grundlegende Reformen gelegt sein.

Der andere Hoffnungsschimmer flackert vor düsterem Hintergrund. Zweimal ist Kenia im Lauf der letzten Jahre zum Schauplatz spektakulärer Terroranschläge geworden. Keine noch so effiziente Polizei könnte derartige Attentate verlässlich verhindern. Andererseits aber ist es kein Zufall, dass gerade Kenia zur Zielscheibe politisch motivierter Gewalt geworden ist. Angesichts der jüngeren Geschichte symbolisiert kaum ein anderes sogenanntes Entwicklungsland die Verwundbarkeit des Westens in vergleichbarem Maße.

Wenn Europa und die USA zeigen wollen, dass ihren Regierungen zur Befriedung der Welt noch etwas anderes einfällt als der Abwurf von Bomben, dann ist Kenia für sie ein geeignetes Betätigungsfeld. Gemeint ist damit nicht der neuerliche Einsatz einer Gießkanne, mit der Geld unterschiedslos auf möglichst viele Flecken verteilt wird, sondern die konkrete Hilfe beim Aufbau einer Zivilgesellschaft. Die ist mühsam und lässt sich in Jahresbilanzen keineswegs als sicherer Erfolg verbuchen. Aber es gibt keine Alternative, die sich ebenso für den Nachweis eignete, dass eine Hinwendung zur Demokratie lohnend sein kann.

Das Ausland allein wird Kenia jedoch nicht den Weg in eine bessere Zukunft weisen können. Eine zentrale Rolle dürfte schon bald die Frage spielen, ob die Verbrechen der Vergangenheit gesühnt werden müssen oder nicht. Einerseits sehnen sich viele Opfer des Moi-Regimes verständlicherweise nach Gerechtigkeit. Andererseits besteht bei einer juristischen Verfolgung der Täter die Gefahr einer neuerlichen Spaltung der Gesellschaft, zumal in einem diktatorischen Regime Täter und Opfer umso schwerer zu unterscheiden sind, je geringer der soziale Status der Einzelnen ist.

Jede Geschichte lässt sich, wie gesagt, auf mindestens zwei Arten erzählen. Die Entscheidung über die historisch gültige Version wird den Kenianern niemand abnehmen können – und dürfen.

BETTINA GAUS