kommentar
: Die Strategie des Kremls in Tschetschenien ist restlos gescheitert

Kaum beginnt das Moskauer Geiseldrama – zur Erleichterung des Kremls – in Vergessenheit zu geraten, da katapultieren sich tschetschenische Rebellen im wahrsten Sinne des Wortes wieder in die Schlagzeilen der Weltöffentlichkeit.

 Mindestens 40 Tote und dutzende Verletzte hat die gestrige Bombenexplosion in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny gefordert. Das allein wäre für Russland wohl nicht weiter aufregend, spielte sich das Drama doch diesmal nicht unmittelbar vor der eigenen Haustür ab – und der Rest der Welt ist mittlerweile abgestumpft gegenüber den täglichen Schreckensmeldungen aus der Kaukasusrepublik. Doch im Gegensatz zu fast allen früheren Attentaten, bei denen die Täter „unfreiwillig“ starben, waren diesmal Selbstmordattentäter am Werk. Auch um den Preis ihres eigenen Lebens haben sie den Regierungssitz der verhassten moskautreuen tschetschenischen Verwaltung in die Luft gejagt.

 Diese Aktion war durch nichts zu rechtfertigen – doch sie zeigt wieder einmal: Die Strategie Russlands gegenüber Tschetschenien ist restlos gescheitert. Das betrifft die so genannten Militäraktionen, die das russische Unterhaus in einem Augenblick seltener Klarheit unlängst als „ineffektiv“ bezeichnete. Das gilt aber genauso für das für März kommenden Jahres vollmundig angekündige Verfassungsreferendum samt Wahlen, in dem auch exponierte westliche Politiker wie Bundeskanzler Gerhard Schröder schon den Beginn eines Friedensprozesses zu sehen glaubten.

 Die Frage ist nun: Wie wird Russlands Präsident Wladmir Putin diesmal reagieren? Das Thema Tschetschenien hatte ihn zum Wahlsieger gemacht, ihn seitdem aber nicht mehr zur Ruhe kommen lassen. Wahrscheinlich wird er wie bisher verkünden, die russische Armee würde jetzt noch härter vorgehen. Obwohl schon jetzt eine Steigerung der täglichen Gewaltorgien, vor allem gegenüber der Zivilbevölkerung, kaum noch möglich zu sein scheint.

 Und der Westen? Schon hören wir sie wieder, die gut gemeinten Aufforderungen, doch nach einer friedlichen Lösung des Konflikts zu suchen. Nur: Die Realität sieht anders aus, und ein Ende der Gräuel in Tschetschenien ist nicht abzusehen. Allenfalls der Fokus ändert sich. Und so wissen nicht zuletzt die tschetschenischen Rebellen eines ganz genau: Spätestens dann, wenn die USA ihren Krieg gegen den Irak beginnen, schaut nach Tschetschenien ohnehin niemand mehr.BARBARA OERTEL