Big Brother Bundeskriminalamt

Niedersachsens Datenschützer Burckhard Nedden zieht eine Bilanz Orwell’scher Ausmaße nach dem 11. 9.: „Ich habe die Herrschaft über meine Daten verloren.“ Bundeskriminalamt steuert Rasterfahndung zentral – trotz fehlender Befugnisse

aus Hannover JÜRGEN VOGES

Die Datenschutzbeauftragten der Länder schlagen in ihren Berichten seit dem 11. September 2001 Alarm. Der niedersächsische Datenschutzbeauftragte Burckhard Nedden hat nun eine Bilanz Orwell’schen Ausmaßes der Sicherheitsvorkehrungen seit der Zerstörung des New Yorker World Trade Centers vorgelegt. „Ich habe die Herrschaft über meine personenbezogen Daten verloren“, konstatierte Nedden für die Bundesrepublik resignierend, „ich weiß nicht, wer was und wo über mich sammelt.“ Außerdem seien die Anschläge „auch bei einem Datenschutz auf Nullniveau nicht zu verhindern“ gewesen. Dennoch hätten die Behörden ihre Eingriffsrechte massiv erweitert. Der 58-Jährige Nedden fragt: „Wie viel Sicherheit verträgt die Freiheit, und wo beginnt für unseren Rechtsstaat die Mutation zum Überwachungsstaat?“

Die neuen Erhebungsbefugnisse, die der Bundestag den Sicherheitsbehörden gegeben habe, stellen in Burckhard Neddens Augen die wichtigsten Prinzipien demokratischer Gesellschaften in Frage: den Grundsatz der freien und unbeobachteten Kommunikation und Bewegung; das Recht auf Anonymität in der Öffentlichkeit; das Verbot der Datensammlung auf Vorrat; und auch „die strikte Trennung von Polizei und Verfassungsschutz“. Nedden ist seit 1999 Niedersachsens Datenschützer. Er bezweifelte, dass die neuen Sicherheitsgesetze überhaupt geeignet seien, um verborgenen Attentätern, so genannten Schläfern, auf die Spur zu kommen.

Kein Schläfer durch Rasterung gefunden

Durch die Rasterfahndung, also die an abstrakten Verdachtskennzeichen orientierte Untersuchung ganzer Gruppen von Nichtverdächtigen, sei bislang kein einziger Schläfer ins Visier geraten. „Alle bekannt gewordenen Fälle gehen auf konventionelle Fahndungsmethoden zurück“, sagte der Jurist. Trotz dieser Zweifel sei ein Ende der zentral vom Bundeskriminalamt (BKA) durchgeführten Rasterfahndung immer noch nicht abzusehen. Das BKA überschreite seine Befugnisse. Es sei zum Beispiel unstreitig, dass das BKA-Gesetz gar kein Recht zur Rasterfahndung enthalte. Dennoch werde diese polizeiliche Methode unter der Federführung des BKAs weiter praktiziert.

Nedden konstatiert, dass das BKA bei der Rasterfahndung keineswegs nur unterstützend im Auftrag der Länder tätig sei. Die Wiesbadener Behörde habe für die Rasterung in großem Umfang eigene Datenerhebungen durchgeführt. Unternehmen seien um die „freiwillige Herausgabe“ von Datenbeständen gebeten worden – „die eigentlich Betroffenen, die Mitarbeiter in den Unternehmen, [sind] in keiner Weise“ beteiligt gewesen. Von einer freiwilligen Übermittlung könne demnach keine Rede sein. Die bundesweite Rasterfahndung entspreche „nicht den gesetzlichen Vorgaben“.

Nedden verlangt in seinem Bericht, alle Befugnisse der Sicherheitsbehörden zur Datenerhebung und -speicherung „umfassend und systematisch“ durch unabhängige Stellen zu überprüfen. Nur so lasse sich der „gebotene Ausgleich zwischen kollektiver Sicherheit und den individuellen Freiheitsrechten wieder neu herstellen“. Real geht die Entwicklung jedoch weiter in die entgegengesetzte Richtung. So droht das einst als frei gepriesene Internet in den Augen von Nedden „zu eine Art Fahndungsnetz“ zu werden. Schließlich wollen die Bundesländer alle Provider verpflichten, alle Bewegungen ihre Kunden im Netz ein Jahr lang für die Sicherheitsbehörden zu speichern.