Nicht ganz eingeebnet

Das Helms-Museum widmet sich den zwischen keltischer und etruskischer Kultur angesiedelten Lepontiern in der Südostschweiz, die in vor-römischen Ären Schnittstelle wichtiger Handelswege war

von HAJO SCHIFF

Was würde Pirauixes dazu sagen? Seine in etruskischen Buchstaben beschriftete Kreisel-Flasche, ein tönernes keltisches Weingefäß, liegt in einer Vitrine im Helms-Museum. Vor 2100 Jahren in Giubiasco als Grabbeigabe gedacht, ist es jetzt in Harburg den Blicken ferner Nachfahren ausgesetzt. Aber vielleicht war er ja am Fernhandel über die Alpen beteiligt, den die Lepontier damals betrieben. Wohnhaft war Pirauixes jedenfalls im Tessin, in der Nähe von Belinzona.

Da es aber außer Grabinschriften keine schriftlichen Quellen gibt und die Siedlungsplätze bisher nicht gefunden wurden, ist das Leben der Lepontier nur anhand von Grabfunden zu rekonstruieren. Von etwa 700 v. Chr. bis zum weitgehenden Eingehen ins römische Imperium ist dieses zwischen den Etruskern und Kelten anzusiedelnde Volk in der heutigen Südostschweiz und der angrenzenden Lombardei nachweisbar.

Diesen Urschweizern, deren Kunst auch stilistisch eine interessante Schnittstelle markiert, hat das Helms-Museum jetzt – mit Material des Schweizer Nationalmuseums in Zürich ausgestattet – eine Schau gewidmet. Die in den Räumen und mit Mitteln des Harburger Museums wie stets nur schwer inspirierend zu gestaltende Ausstellung geht allerdings über regionales Interesse hinaus. Denn die Tatsache, dass lepontische Bronzen auch am Rhein und in Dänemark auftauchen, offenbart einmal mehr den schon vor Jahrtausenden gut funktionierenden Warenaustausch.

Die Archäologie erweitert in den letzten Jahrzehnten den Blick auf eine immer länger werdende Kulturgeschichte des nord- und mitteleuropäischen Raums. Seit den Funden des vor 2500 Jahren bestatteten Keltenfürsten vom Glauberg, der jüngst gesicherten, 3600 Jahre alten astronomischen Scheibe von Nebra in Sachsen-Anhalt oder dem Brunnenkasten von Erkelenz-Kückhoven, auf das Jahr 5090 v. Chr. datiert, entsteht ein immer differenzierteres Bild hoch entwickelter Kulturen lange vor den „zivilisatorischen“ Maßnahmen des römischen Imperiums.

Und auch die Schweiz findet in der jahrhundertelangen Vermittlerfunktion der Lepontier eine immer noch aktuelle Rolle wieder. Von Südosten über die Adria wurden griechische Waren, von Süden und aus der Po-Ebene etruskische Bronzegefäße und von der Ostsee Bernstein in die Nordalpen geschafft.

Vom ersten Jahrhundert n. Chr. an ging dann allerdings auch der Alpenraum in der römischen Kultur auf – Geschirr aus Terra Sigilata und Glas fanden sich ab jetzt anstelle von Waffen in den Gräbern. Dass die nun romanisierten Lepontier die Körperbestattung beibehielten, entsprach allerdings keltischer Tradition. Auch blieben sie noch lange bei einer Kleidung, die – anders als die römische Tracht – von Fibeln zusammengehalten wurde. Trotzdem begann die lepontische Kultur – als schwer zu konturierende Nahtstelle besonders gefährdet – in Vergessenheit zu geraten, bis im späten 19. Jahrhundert die ersten Gräber gefunden wurden: beim Bau der Gotthard-Bahn.

Di–So 10–17 Uhr (31.12. + 1.1. geschlossen); Helms-Museum, Harburg, Museumsplatz 2; bis 9. März 2003