Ochs und Esel Superstars

Im Souterrain der christlichen Mythologie schwappt uns das Blut um die Knöchel

von ARNO FRANK

Gott ist sauer. Er hat es satt, endgültig satt. Da helfen jetzt auch keine Geschenke mehr. Es platzt ihm also der Kragen, mit alttestamentarischer Deutlichkeit: „Meine Seele ist feind euren Neumonden und Jahresfesten“, schimpft er bei Jesaja 1, 3, „sie sind mir eine Last, ich bin’s müde, sie zu tragen!“. Nein, diese Feiern sind ihm zuwider: „Ich bin satt der Brandopfer von Widdern und des Fettes von Mastkälbern und habe kein Gefallen am Blut der Stiere, der Lämmer und Böcke.“ Auch das rituelle Brimborium stinkt ihm gewaltig: „Das Räucherwerk ist mir ein Gräuel!“, hustet er und schlägt mit der flachen Hand auf die Tischplatte: „Festversammlungen mag ich nicht!“ Das liederliche Gesindel möge sich doch ein Beispiel an zwei ausgesucht dummen Tieren nehmen: „Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn: aber Israel kennt’s nicht, und mein Volk versteht’s nicht“, meint der Herr unwirsch.

Hier spricht ein Gott, der noch keinen Gedanken an Vaterfreuden verschwendet. Was die fröhliche Niederkunft selbst anbelangt, so erwähnen seriöse Evangelien weder Ochs noch Esel. Glauben wir der Bibel, dann haben sie das Ereignis offenbar verpasst. Nicht um fünf Minuten oder drei Tage, sondern um mehr als 600 Jahre.

So lange jedenfalls dauert es, bis Ochs und Esel in einer eher fadenscheinigen, apokryphen Schrift erstmals wieder erwähnt werden: „Dort beteten Ochs und Esel das Kind an nach den Worten des Propheten.“ Trotzdem sind Ochs und Esel keine innocent bystanders, sondern die wichtigsten Gestalten, die eigentlichen Superstars im Stall zu Bethlehem.

Dafür spricht ein kurioses Indiz, die älteste Geburtsdarstellung der Christenheit. Das Elfenbeintäfelchen aus dem fünften Jahrhundert, das heute im französischen Nevers zu besichtigen ist, zeigt lediglich Ochs und Esel, deren Fresstrog von Jesus Christus besetzt ist. Von den Eltern keine Spur, die in den frühesten Schriften des Neuen Testaments nur am Rande erwähnt werden: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau“, schreibt Paulus, der die Geburtsgeschichte noch sehr nachlässig behandelt.

Was heute die zentrale Szene einer Weltreligion ist, war damals zu vernachlässigen. Sensationell war die Nachricht vom gekreuzigten Gott, nicht die Geschichte seiner Niederkunft auf die Welt. Die wurde erst später immer fantasievoller ausgemalt und immer mal wieder mit neuen Charakteren aufgefrischt. Nur mählich füllt sich der Stall mit dem bekannten Personal.

Doch Maria, Josef, der gestrenge Engel, die verwirrten Hirten und Heilige Drei Könige bleiben bloße Staffage im Vergleich zu Ochs und Esel. Die nämlich sind Veteranen der ersten ideologischen Schlacht, die das junge Christentum zu schlagen hatte – gegen das Judentum.

Während die Juden noch heute auf ihren Messias warten, behauptete die frühe Gemeinde aus „Heidenchristen“ und „Judenchristen“ dreist, er wäre schon längst da gewesen. Um mit dieser feindlichen Übernahme jüdischer Glaubenslehren durchzukommen, war viel propagandistische Arbeit nötig. Erst von Rom aus, über imperiale Informationskanäle und die Infrastruktur des Reiches, konnte das neue Glaubens- und Bildprogramm nachhaltig bis in die entferntesten Winkel und entlegensten Kapellen der Christenheit durchgesetzt werden.

Ochs und Esel sind in „aller Herren Länder“ politische, affirmative Figuren. Tauchen sie in mittelalterlichen Krippendarstellungen auf, zementieren sie damit bildersprachlich die behauptete Einheit von Altem und Neuem Testament. Um die authentisch messianische Mission Christi zu belegen, verwies die katholische Kirche immer wieder auf eigentlich jüdische Überlieferungen – wie die eingangs zitierte Anklage Gottes an sein abtrünniges Volk.

Weil aber in der Theologie alles irgendwas bedeuten muss, zur Not sogar das absolute Gegenteil, wurden auch Ochs und Esel ikonografisch aufgeladen bis in die Ohrenspitzen. Der Esel, seinem Naturell gemäß gerne auch als Symbol für ungehemmte Geschlechtslust gedeutet (Ezechiel 23, 20), wird in der Bibel zwar 157-mal als Transportmittel lobend erwähnt, steht aber in diesem speziellen Fall für die unreine Unwissenheit der Heiden. Und der Ochse repräsentiert nach Auskunft des Kirchenvaters Augustinus das jüdische Volk, weil es angeblich unter dem Joch des Gesetzes lebe. Heiden und Juden aber, angesprochen als potenzielle Christen, erkennen an der Krippe instinktiv ihren Herrn.

Und diese Begegnung ist alles andere als ein besinnliches Idyll, wie der Blick auf ein volkstümlich bemaltes Glasfenster im Freiburger Münster zeigt. In der etwas derben Darstellung züchtigt der notorisch unterbeschäftigte Josef den Ochsen, weil er sich über die verschissenen Windeln des Jesuskindes hergemacht hat. Tatsächlich kennt echtes Nutzvieh keine Verwandten, wenn’s ums Futtern geht. Warum aber zeigen Ochs und Esel so viel milde Nachsicht mit einem Kind, das ihren Trog besetzt? Weil sie es fressen werden.

Womit wir zum Souterrain der christlichen Mythologie hinabgestiegen wären, zur Eucharistie, wo uns das Blut um die Knöchel schwappt. So ist, als Hinweis auf das Brot als Leib Christi, das Christkind oft auf Getreide gebettet, nicht auf Stroh. Wenn wir heute noch rituell den Leib Christi verspeisen müssen, um seiner himmlischen Botschaft teilhaftig zu werden – wie wichtig ist dieser symbolische Akt erst für Judenchristen und Heidenchristen, also Ochs und Esel?

Erst im Laufe der Zeit wird die düstere Wucht dieser programmatischen Metapher immer mehr abgefedert, verwässert durch immer neue Gäste an der Krippe. Erst nachdem Ochs und Esel ihren kniffligen theologischen Job erfüllt hatten, konnten sie als Statisten in den Hintergrund gedrängt werden.

Was heute erst mühsam freigelegt werden muss, war damals jedem Analphabeten auf den ersten Blick ersichtlich. Wenn etwa Martin Schongauer und andere spätgotische Maler des 15. Jahrhunderts das Kleid der knienden Maria in aberwitzigen Falten über den Boden fallen lassen, so begreift der mittelalterliche Zuschauer gleich zweierlei: Das Kleid ist so riesig, weil Maria einmal Himmelskönigin sein wird; und die Falten wallen über den Boden, weil die Muttergottes in Demut geerdet ist. Veilchen stehen für die Jungfräulichkeit der Jungfrau; Schnecken für die Auferstehung, weil sie sich gegen Ostern wieder regen. Mittelalterliche Darstellungen wimmeln nur so von visuellen Bezügen, Querverweisen und Andeutungen. Ein metaphorischer Reichtum, der heute ebenso verloren gegangen ist wie der jeder anderen ausgestorbenen Sprache.

Auf dem postmodernen Weihnachtsmarkt werden nun Ochs und Esel mal als Sinnbild für multikulturelle Harmonie, mal als Symbol für die ärmliche Herkunft des Heilands hergenommen. Ganz wie’s beliebt.

Schließlich stehen Ochs und Esel seit mehr als 2.000 Jahren an der Krippe und glotzen, sonst nichts. 2.000 Jahre, in denen sie nie zweifelten, sondern ganz kreatürlich – man könnte auch sagen: dumpf – einfach nur wussten. Ochs und Esel kennen eben ihren Herrn und die Krippe ihres Herrn. Sie halten die Stellung, bis er wiederkehrt. Und er wird sehr, sehr sauer sein.