Feiern, um zu überleben

Mexikanische Kultur in Berlin ist durchaus lebendig. Ihr Stellenwert wird von den hier lebenden Mexikanern allerdings sehr verschieden eingeschätzt. Beim MEXartes-Festival im Haus der Kulturen zeigt Manuel Vásquez vom Verein Calaca das Totenfest

von DINAH STRATENWERTH

Vor acht Jahren starb Mario Vásquez’ bester Freund. Der gebürtige Mexikaner wollte nicht alleine trauern und lud einige Freunde in seine Wohnung ein. Er bereitete einen Tisch zu mit den Lieblingsspeisen und Getränken des Toten. Es wurde ein richtiges Totenfest, fast so wie in seiner Heimat. Dort glaubt man, dass die Verstorbenen erscheinen und sich an dem Gabentisch, den man ihnen herrichtet, bedienen. Im Jahr darauf feierten Mario und seine Freunde erneut das Totenfest, genauso wie in den folgenden drei Jahren.

Man entschloss sich, öffentlich zu feiern, um mit den deutschen Freunden und weiteren Besuchern ein Stück mexikanische Tradition teilen zu können. Daraus entstand „La Calaca“ – Das Skelett. Mit dem mexikanisch-lateinamerikanischen Kulturverein soll, so Mario Vásquez, „dem Klischee vom Mexikaner mit Kaktus, Tequila und Schlapphut“ etwas entgegengesetzt werden.

Er selbst brachte seine Fähigkeiten als Fotograf und Schauspieler in den Verein ein. Auch die meisten anderen der 30 Mitglieder sind Künstler. Neben dem Totenfest veranstaltet der Verein Ausstellungen und Theateraufführungen und ist alljährlich beim Karneval der Kulturen mit dabei.

Zum Umkreis von „La Calaca“ gehört auch die einzige Berliner Mariachi-Gruppe „El Dorado“ unter der Leitung von Victor Ibañez. Die bunt aus Lateinamerikanern und Deutschen zusammengewürfelte Truppe, in der Victor der einzige Mexikaner ist, spielt regelmäßig in Berliner Restaurants und Bars. Doch im Gegensatz zu Ländern wie Kuba und Brasilien, die durch Caipirinha und Fußball oder Salsa und Buena Vista Social Club gerade besonders en vogue sind, hat Mexiko bis jetzt noch keinen großen Boom erlebt.

Ungefähr 500 Mexikaner leben zurzeit in Berlin, wobei die Zahl derer, die dauerhaft hier sind, um einiges geringer ist. Für viele ist Berlin nur eine Station, ein Ort, um einige Monate zu studieren oder künstlerisch tätig zu sein und dann weiter zu ziehen.

Und nicht alle identifizieren sich mit der folkloristischen Seite der mexikanischen Kultur. Die seit elf Jahren in Berlin lebende Architektin und Stadtplanerin Isabel Carillo interessiert sich mehr für die Sanierung von Häusern in Friedrichshain als für die mexikanische Kulturszene. Auch das Totenfest hat sie hier nur einmal gesehen. Sie ist der Ansicht, dass man unterscheiden muss zwischen dem Teil der mexikanischen Bevölkerung, die das Fest auf den Dörfern feiert, und denjenigen, die als reine Zuschauer dorthin kommen. Zu ihnen gehört sie. „Auf dem Land“, sagt Carillo, „glauben die Menschen an das, was sie tun. Wir aus der Stadt finden es nur schön.“ Das Berliner Totenfest hat für sie mit der Tradition wenig zu tun. Auf einmal sehnten sich die in der Fremde lebenden Mexikaner nach ihren Wurzeln, die sie vorher nie interessierten. Sie feiern, „um sich zu finden und zu überleben“.

Beim MEXartes-Festival baut Isabel Carillo in einem Workshop zusammen mit Schülern eine große Schlange, die sich ab dem 21. September die Freitreppe vor dem Haus der Kulturen der Welt hinunterringeln wird. Eigentlich wollte sie folkloristische Elemente aus ihrer Arbeit mit den Kindern eher heraushalten, um ihnen eher das gegenwärtige Mexiko näher zu bringen. Doch am 21. September, am letzten Tag des Workshops, ist Tagundnachtgleiche. An diesem Tag erscheint nach mexikanischer Tradition der Gott Quetzalcoatl in Gestalt einer gefiederten Schlange auf den Stufen einer Pyramide. Die mystische Figur soll nun in der Installation mit dem Veranstaltungsort verbunden werden: Mexikanische Tradition trifft Berliner Architektur.