„Diskriminierung im Alltag“

Petra Rosenberg, Landesvorsitzende der Sinti und Roma in Berlin, hat mit wachsenden Vorurteilen zu kämpfen. Mit Kulturveranstaltungen und Schulbesuchen versucht sie dem zu begegnen

von HEIKE KLEFFNER

Die Teenager neben dem international bekannten Gitarristen Ferenc Snétberger strahlen. Gerade haben sie ihren ersten öffentlichen Auftritt vor voll besetzten Tischen im Haus der Kulturen hinter sich gebracht. „Zukunftsmusik“ heißt das jüngste Projekt des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma in Berlin und Brandenburg. Professionelle Musiker mit Hochschulabschlüssen aus mehreren Ländern unterrichten hier Sinti und Roma, Jugendliche und Kinder zwischen 8 und 25 Jahren. Petra Rosenberg, die den Landesverband seit dem Tod ihres Vaters Otto Rosenberg im Juni 2001 leitet, sagt, ein grundsätzliches Ziel des Projekts, in dem die persönliche Erfahrung der Lehrer mit der Musikkultur der Roma und Sinti den Unterricht entscheidend prägt, sei der Zugang zu Bildung.

Die diplomierte Pädagogin weiß, wie schwierig es für jugendliche Sinti und Sintizas sein kann, die Schule erfolgreich zu beenden. Aufgewachsen in Britz in der Nachkriegszeit als älteste von sieben Geschwistern, ist Armut für Petra Rosenberg prägend gewesen. Das änderte sich erst, als ihre Schwester Marianne die ersten Erfolge als Sängerin hatte. „Erst mit einer gewissen materiellen Sicherheit kann man über Bildung und politisches Engagement nachdenken“, ist ihre Erfahrung. Sie hat es geschafft und dafür gekämpft: als sie ihr Abitur nachmachte und „peinlich genau darauf geachtet hat, dass niemand erfährt, dass ich Sintiza bin“. Sie wollte vor dem Hintergrund ihrer Schulerfahrungen nicht an Lehrern scheitern, die ihre Arbeiten mit Vorurteilen wie „Kann eine Zigeunerin überhaupt lesen und schreiben?“ beurteilten. Später, während des Pädagogikstudiums, hat sie die Uni „durch einen offenen Umgang mit meiner Identität bewusst als Plattform für Aufklärungsarbeit genutzt“.

Eigentlich redet Petra Rosenberg über ihre eigene Biografie eher ungern, in Nebensätzen und zögerlich. Im Vordergrund steht die Arbeit „für unsere Leute“, gegen die Vorurteile der Mehrheitsgesellschaft, mit denen Sinti und Roma tagtäglich konfrontiert sind. Dass es sich dabei nicht – wie von entnervten Exliberalen gern ins Feld geführt – um „Überempfindlichkeiten“ oder das Drängen auf Political Correctness handelt, wenn Rosenberg von „einer zunehmenden Diskriminierung im Alltag“ spricht, ist in wissenschaftlichen Studien nachzulesen. In einer der wenigen großen Umfragen zum Antiziganismus Mitte der 90er-Jahre erfuhr das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin, dass zwei von drei Deutschen „Zigeuner“ nicht als Nachbarn wollen.

Eine Haltung, die Rosenberg manchmal ganz unverblümt entgegenschlägt. Etwa wenn sie im Gegensatz zu der blonden Nachbarin in der Schlange an der Kasse zusätzlich zu ihrer EC-Karte den Personalausweis vorzeigen muss. Mit einem ironischen Lachen zeigt die Mittvierzigerin auf ihre schwarze Jacke und den eleganten schwarzen Rock. „Ich würde schon gerne lange, bunte Röcke tragen, aber wenn ich so ins Kaufhaus gehe, laufen mir die Ladendetektive sofort hinterher.“

Oder die alljährlichen Berichterstattung über den städtischen Stellplatz für Roma und Sinti in Zehlendorf. „An diesem Thema ballen sich alle Vorurteile vom so genannten lustigen Zigeunerleben zusammen“, sagt Rosenberg und schüttelt energisch die langen Haare aus dem Gesicht. „In den Ferien ist es nun mal billiger, im Wagen zu übernachten, als im Hotel, wenn man mehrere Kinder hat.“ Ihr Vorschlag: die Campingplätze, auf denen sich die Mehrheitsgesellschaft im Sommer einfindet, auch für Sinti und Roma zu öffnen. „Es ist noch gar nicht so lange her, dass mein Vater Schilder mit Aufschriften wie ‚Zigeunern und Landfahrern ist der Zutritt verboten‘ an Campingplätzen fotografiert hat.“ Die Schilder sind inzwischen abmontiert. Statt dessen erhalten Sinti und Roma heute die Auskunft: „Tut uns Leid, der Campingplatz ist überfüllt.“

Viel Arbeitszeit verwendet Rosenberg darauf, Roma und Sinti in Situationen alltäglicher Diskriminierung zur Seite zu stehen. Oft mit Erfolg, wie sie betont. Zum Beispiel an Schulen, wo sie gerufen wird, wenn Roma- und Sinti-Schüler aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert werden. Bislang seien die meisten Lehrer offen für ihre Vermittlungsvorschläge gewesen, stellt Rosenberg nüchtern fest. Wütend macht sie dann eher, wenn die Eltern und Großeltern der betroffenen Kinder von Seiten der Schule gar nicht erst angesprochen oder in den Lösungsprozess mit einbezogen werden. „Anscheinend geht man davon aus, dass Roma und Sinti eben kein Interesse an einer guten Ausbildung ihrer Kinder haben.“

Für diejenigen, die sich an den Landesverband wenden, sind Petra Rosenberg und die Mitarbeiterinnen, die sie sich angesichts der knappen Honorarmittel kaum leisten kann, weil der Senat lediglich eine Stelle und die Miete für das Büro finanziert, die einzige Adresse, wo sie ernst genommen werden. Zum Beispiel bei Auseinandersetzungen mit Behörden, Vermietern oder Schulen. Rund tausend Anfragen werden im Lauf eines Jahres in dem kleinen, hellen Büro des Landesverbandes bearbeitet. Obwohl die Adresse nirgendwo veröffentlicht ist: eine Vorsichtsmaßnahme nach Drohbriefen und dem Brandanschlag auf einen Rastplatz für Roma in Königs Wusterhausen, aber mehr auch nicht. „Berlin ist meine Stadt. Und Deutschland ist unser Land“, sagt Petra Rosenberg. Punkt. Zwei Sätze ohne Nebensätze. Den Unwissenden und denen entgegengehalten, die – wie vor kurzem ein Beamter auf einem Berliner Sozialamt einer Roma-Familie – sagen: „Geht doch dahin, wo ihr herkommt.“

Die Konsequenzen zunehmender Diskriminierungserfahrungen zieht sie an anderer Stelle. Indem sie sich einmischt in politische Debatten; und die Lobbyarbeit ihres Vaters für das Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma fortführt: „Wir brauchen das Mahnmal nicht, um uns an unsere Toten zu erinnern. Aber die Mehrheitsgesellschaft braucht diesen Ort zum Nachdenken.“