Voller Einsatz für Flüchtlinge

Die Vorsitzende des Südost Zentrums, Bosiljka Schedlich, betreut Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien. Die Kroatin will die Traumata des Krieges überwinden, um die europäische Integration zu unterstützen

Interview HEIKO HÄNSEL

taz: Frau Schedlich, heute leben noch rund 11.000 Flüchtlinge aus Exjugoslawien in Berlin. Stellt das Südost Zentrum nach zehnjähriger Tätigkeit weiterhin die Flüchtlingsarbeit in den Mittelpunkt?

B. Schedlich: Unser Anliegen war und bleibt die Friedensarbeit. Was die Flüchtlinge aus Südosteuropa in Berlin betrifft, so kann die Arbeit nicht als abgeschlossen gelten. Es gibt noch immer viele traumatisierte Menschen, denen keine Aufenthaltsbefugnis erteilt wurde. Auch für die Roma-Minderheit aus Bosnien und Kosovo, der die Abschiebung droht, ist ein besonderer Einsatz notwendig.

Gibt es auch andere Aufgaben?

Wir rücken jetzt vor allem die Arbeit mit den Flüchtlingskindern in den Mittelpunkt. Sie wurden durch Krieg, Vertreibung und den Schock der Ankunft in der Fremde von den Erwachsenen vergessen. Sie sind in einer anderen Situation als ihre Eltern. Die Kinder sind in das Berliner Leben hineingewachsen und wirken häufig reifer als ihre Eltern. Diese Kinder haben ihre Eltern oft an die Hand nehmen müssen, um sie zu Ämtern und Therapeuten zu begleiten. Sie mussten übersetzen, ja sogar die Eltern beschützen – in einer persönlichen Entwicklungsstufe, in der die Kinder eigentlich ihre Eltern gebraucht hätten. Man muss mit diesen Kindern arbeiten, damit der Schaden, der tagtäglich entsteht, so gering wie möglich ist.

Wie sieht das konkret aus?

Durch die Integration in die hiesige Gesellschaft, durch die Beschäftigung, eine private Wohnung, durch den Spracherwerb können die Eltern wieder ihre Elternrolle übernehmen und die Kinder entlasten. Ihre seelischen Wunden müssen außerdem behandelt werden. Ich kann mich da nur immer wieder bei den Therapeuten bedanken, die das ehrenamtlich machen.

Sie betonen häufig, dass es Ähnlichkeiten zwischen der deutschen Erfahrung 1945 und der bosnischen 1995 gibt.

Viele ältere Berliner sehen, dass man sich nach 1945 um sie nicht so intensiv gekümmert hat. Es gab damals noch kein Bewusstsein für die Folgen von traumatischen Erfahrungen. In Berlin gibt es auch viele Menschen, die aus Vergewaltigungen geboren wurden. Darüber wurde nicht gesprochen. Ich sage das, weil ich glaube, dass das Verständnis für Kriegsflüchtlinge nur möglich ist, wenn auch das eigene Trauma zugelassen wird und auch das Trauma der Deutschen anerkannt wird. Die Flüchtlinge haben mich gelehrt, dieses Berliner Phänomen zu sehen. In einem Menschen geht nichts verloren, die Gefühle bleiben präsent und werden sogar in die nächste Generation übertragen, wenn wir sie nicht bearbeiten. Eine Integration Europas gibt es erst, wenn die Europäer ihre Kriege auch in den Seelen beenden. Die Arbeit an den Folgen der jüngsten Kriege gibt uns die Möglichkeit, zu verstehen, wie Kriege psychologisch entstehen. Daraus können Modelle entwickelt werden, sie zu verhindern. Daüber gibt es ein großes Wissen unter Sozialarbeitern, Psychotherapeuten und Ärzten. Das ist der Anfang, zu einem anderen Denken zu gelangen.

Eine neue Initiative des Südost Zentrums ist ein Jour fixe Südosteuropa, das mit dem türkischen Bosporus-Verein organisiert wird. Wollen Sie künftig auch die Communities aller ehemaligen Gastarbeiter in die Arbeit einbeziehen?

So ist es. Wir haben ja den Verein 1991 gegründet, als es noch keine Kriegsflüchtlinge gab. Die Projekte sollten den Arbeitsmigranten erleichtern, sich in die Berliner Gesellschaft zu integrieren und gleichzeitig ihren Kindern die Identität der Herkunftsländer zu erhalten. Zudem soll eine Auseinandersetzung mit der aufkommenden nationalistischen Propaganda aus Jugoslawien ermöglicht werden. Ich bin seit 34 Jahren in Berlin. Die Arbeitsmigranten waren bis zu den jugoslawischen Kriegen das Hauptthema meiner Tätigkeit hier. Sie sind aber durch die große Not der Flüchtlinge ins Hintertreffen geraten. Aber auch die Gastarbeiter haben mitgelitten. Sie haben Angehörige verloren oder ihre Ersparnisse verbraucht, um ihre Verwandten zu unterstützen. Einige haben ihr Geld sogar für Waffen hergegeben. Die Arbeitsmigranten aus Jugoslawien sind Teil der ganzen Tragödie.

Welche Forderungen haben Sie an die Flüchtlingspolitik? Wollen Sie generelles Bleiberecht für die verbliebenen Flüchtlinge?

Ich bitte die Politiker, dafür zu sorgen, dass Rechte eines jeden Menschen in einem gemeinsamen Europa geschützt werden. Die Menschen, von denen wir reden, sind teilweise bereits integriert. Die Kinder sind hier geboren und aufgewachsen. Sie sind Deutsche, sie haben keine andere Heimat, und erst recht haben sie kein anderes Heim. Was durch ihr Leben hier gewachsen ist, muss genutzt werden. Alle Kinder müssen gefördert werden, damit sie zu einer Ausbildung und einer guten Zukunft kommen. Durch die erneute Vertreibung wird jeder Einzelne um Jahre zurückgeworfen. Damit verhindert man ein schnelleres Zusammenwachsen Europas.