Über und unter dem Asphalt

Ein sich vom Wasser aus nähernder Naturforscher und Archäologe im urbanen Raum: Bob Braine zeigt in der Galerie für Landschaftskunst neue Ergebnisse seiner Dschungelsuche in New York

von LISA MONK

Um seine Expeditionen auf dem Wasser so perfekt wie möglich der jeweiligen Umgebung anzupassen, baut der Künstler Bob Braine seine Kajaks selbst. Als er im vergangenen Jahr auf Kanälen die niederländische Stadt Almere durchpaddelte, fand er nur Weidenbäume vor. Die auf neu gewonnenem Land wie eine Sturzgeburt entstandene Stadt war so jung, dass kaum Büsche und Bäume auf der Stadtfläche wuchsen. Also wurde Brain die Weide zum Material – und zum Symbol, das die Bedingungen des untersuchten Ortes repräsentiert. Jetzt ist das „Almere Micro Transect Boat“ zusammen mit neuen Arbeiten und Projekten von Bob Braine in der Galerie für Landschaftskunst zu sehen.

Vor vier Jahren war der Künstler schon mal in Hamburg – für sein „Hamburg Project“, das anschließend im Altonaer Museum gezeigt wurde. Bob Braine ist Dschungelforscher und Archäologe im urbanen Raum. Er nähert sich vom Wasser aus den Städten und sieht diese Art der Bewegung und Exploration als eine prähistorische. Schon unsere Urahnen haben sich auf diese Weise fortbewegt und die Welt erkundet.

Braine interessiert in post-industrieller Zeit das Verhältnis vom Fluss zur Landschaft. Vor allem in New York hat er die Ufer und Inseln des Hudson River und in Hamburg die Elbe befahren. Im Kajak wandert er Flüsse und Kanäle herauf und untersucht abschnittsweise die urbane Bebauung. Dabei wird er zum Archäologen, der freilegt und mit der Kamera dokumentiert, welche Gegenwelten in den Adern der steinernen Metropolen gedeihen.

Neue Ökosysteme breiten sich über die von Menschen verlassenen Industrie- und Wohn-Brachen aus. Die Natur erobert Land zurück. Auf den New Yorker Inseln gibt es Arreale, in denen das Grün wie im Dschungel wuchert und neue Bewohner beherbergt. In der wilden Renaturierung der Städte findet Braine lebende und tote Tiere – und manchmal auch Menschen, die ein leeres Eiland den Hochhausschluchten vorziehen.

Für den in New York lebenden Künstler setzte der 11. September einen Bruch in seine Wahrnehmung. In einer 30-teiligen Serie dokumentiert er das Panorama Manhattans, dem er sich seit 13 Jahren auf seinem täglichen Weg über die Kosciusko Bridge nähert. Fotografisch installiert er ein dauerhaft existentes Memorial. Er fand einen Standpunkt, von dem aus er den Schlot einer Abfackelungsanlage deckungsgleich mit der Lücke der Twin Tower bringen konnte. Der Schornstein raucht wie ein Sühnezeichen. In einer anderen Arbeit verfolgte Braine die Route der terroristischen Flieger auf der Karte. Sie sollen sich, von Norden her New York anfliegend, am Hudson orientiert haben, um ihre Ziele zu treffen.

Für Braine sind überall, im Zivilisationsmüll am Ufer der Flüsse, in der Zerstörung der Twin Towers und bei der Kartographie von Vögeln, Spuren von Globalisierung sichtbar. In Vogelporträts versammelt er Gattungen, die es im 19. Jahrhundert in Amerika noch nicht gab und die jetzt als Fremdlinge keine natürlichen Feinde haben und sich rasant ausbreiten. Um die Translozierung von Natur geht es Braine in der Werkgruppe „Proposal drawings“. Als Entwurf skizziert er Objekte und utopische Gerätschaften, etwa die „Fish Utilitiy Boxes“. Ein am Straßenrand stehender Stromkasten soll ein Aquarium tragen, das die Fische wieder ins Gesichtsfeld rückt, die unter dem Asphalt im zugedeckelten Fluss leben. Oder einst lebten. Einige der ausgestellten Entwürfe sollen im Rahmen der Arbeit der Galerie für Landschaftskunst realisiert werden. Ob in New York oder in Hamburg, stellt sich noch heraus.

Mi–Fr 15–18, Sa 12–14 Uhr, Galerie für Landschaftskunst, Admiralitätsstr. 71; bis 31. Januar