Mehr Öl für die Todesküste

Auf Galiciens Costa da Morte treibt ein weiterer Ölteppich zu. Die Wut über falsche oder fehlende Hilfsmaßnahmen wächst

aus Madrid REINER WANDLER

Bei den Menschen in Galicien weicht das Bangen dem Entsetzen. Seit Samstagabend werden erneut Öllachen angespült. Sie sind nur die Vorboten einer neuen marea negra („schwarze Flut“), die in den kommenden Tagen in Galicien erwartet wird. 11.000 Tonnen Schweröl, ein Ölteppich, so groß wie die Fläche des Bodensees, treibt beharrlich auf die Küste zu. Der Nordwesten Spaniens steht vor einer zweiten Ölpest, die das bisherige Ausmaß der Katastrophe in den Schatten stellen wird.

„Die nächsten Tage werden sehr, sehr schwierig“, gibt selbst der galicische Fischereiminister Enrique López Veiga unumwunden zu. Noch bis Freitag erklärten die Behörden, dass das Öl das am 19. November beim Untergang des 26 Jahre alten Öltankers „Prestige“ austrat, nicht an Land gespült werde. Am Samstag dann, als die Fischer in Finisterre, im äußersten Westen Spaniens, die ersten Ölflecke mit dem Fernglas beobachten konnten, begann der spanische Vizeregierungschef Mariano Rajoy mit der Wahrheit herauszurücken. Dennoch sei auch die neue Ölpest kein Grund zur Panik: „Das Schweröl ist weniger giftig als bei anderen Unfällen“, urteilte Rajoy über die größte ökologische Katastrophe, die Spanien je erlebt hat.

500 Kilometer Küstenlinie der Costa da Morte (Todesküste) sind bereits mit 6.000 Tonnen Öl verschmutzt. 15.000 Fischer haben ihr Einkommen verloren. Selbst der Meeresboden ist mittlerweile verseucht. In der vergangenen Wochen zogen Fischer an einem als sauber geltenden Küstenabschnitt ihre Reusen aus 40 Meter Tiefe an Land. Sie waren über und über ölverschmiert.

Je nach Strömung und Wind könnte das Öl dieses Mal auch in die Rías Baixas gelangen. Die fjordähnlichen Flussmündungen im Süden Galiciens sind die fisch- und meeresfrüchtereichsten Zonen Europas. Das nährstoffhaltige Wasser nimmt außerdem 18 Fischzuchtbetriebe und 2.200 künstliche Muschelbänke auf. Miesmuscheln, Austern, Krebse, Langusten, Tintenfische … allein in der größten Ría, der von Arousa, leben 28.000 Familien direkt von ihren Fängen. Eine Milliarde Euro erwirtschaften sie jährlich.

Mangels schwimmender Ölbarrieren versuchen die verzweifelten Fischer mit eigenen Mitteln, die Katastrophe abzuwenden. An mehreren Stellen wurden kilometerlange Netze gespannt und mit Ketten am Meeresboden verankert. Sie sollen das Öl am Eindringen in die riesigen Buchten hintern. Die Miesmuschelzuchtanlagen wurden vorsichtshalber in Plastikfolie eingepackt. Die sieben ausländischen Antikontaminationsschiffe zum Absaugen des Schweröls auf offener See, unter ihnen die deutsche Neuwerk, kommen nur bedingt zum Einsatz. Das Meer ist zu rau, die Wellen sind zu hoch.

An 31 Stellen steht die Costa da Morte unter Naturschutz. Meer und Wind haben eine Landschaft aus Dünen und Lagunen geschaffen. Wasservögel und Zugvögel finden hier ihren Lebensraum. Die Lagunen wurden in aller Eile mit Sandwällen vor der Ölpest geschützt. An manchen Stellen kam dies zu spät. Und wo es funktionierte, verwandeln sich die Feuchtlandschaften durch den anhaltenden Regen in Seen. Das sensible Ökosystem ist damit ebenfalls bedroht.

Laut jüngsten Umfragen sind nur noch 16 Prozent der galicischen Bevölkerung davon überzeugt, dass es richtig war, den leckgeschlagenen Tanker aufs offene Meer zu schleppen. Sie hätten es lieber gesehen, wenn die „Prestige“ in eine Bucht geschafft und dort leer gepumpt worden wäre. Selbst wenn dies schief gegangen wäre, hätte das Öl ein wesentlich kleineres Gebiet verseucht. „Je weiter weg von der Küste ein Tanker verunglückt, umso weiträumiger ist die Kontamination, die er verursacht“, bestätigt Michel Grin, Direktor des französischen Instituts zur Erforschung der Meersverunreinigung (Cedre).

Die Menschen vor Ort haben jegliches Vertrauen in die Politiker verloren. „Das ist die absolute Krise des demokratischen Systems“, erklärt einer der Bürgermeister an der Costa da Morte. Das Fehlen von Koordination, von Hilfe und vor allem von Information werfen die Betroffenen den Behörden vor. Es ist nicht der erste Unfall dieser Art an Galiciens Küste. Dennoch hat Spanien – mit einer der längsten Küste der europäischen Länder – keinerlei Vorsorgen getroffen. Nur 18 Kilometer schwimmende Ölbarrieren waren vorrätig, sodass während der Ölpest erst im Ausland für Nachschub gesorgt werden musste.

„Ein Spezialboot zur Bekämpfung der Kontamination rechnet sich für uns nicht“, erklärte vor wenigen Tagen der galicische Fischereiminister López Veiga. Warum trotz dieses Mangels die ausländischen Schiffe, wie die deutsche „Neuwerk“, viel zu spät angefordert wurden, darüber schweigt sich López Veiga aus. Anfänglich wurden nur 150 Soldaten zur Reinigung der Strände abgestellt. Ein Krisenstab zur Koordinierung weiterer Kräfte und der hunderte von Freiwilligen wurde erst eine Woche nach der ersten Ölpest ins Leben gerufen. Mittlerweile reinigen immerhin 900 Soldaten und Zivilschützer die Küste auf 500 Kilometer Länge. Beim Tankerunglück der „Erika“ in Frankreich vor drei Jahren waren 5.000 im Einsatz.

Die Behörden versuchen weiter totzuschweigen, was nicht mehr totgeschwiegen werden kann. Die Betriebsräte beim spanischen Fernsehen TVE und beim galicischen Regionalsender TVG beschweren sich über eine Dienstanweisung, nach der das Wort marea negra nicht benutzt werden darf. Die Journalisten müssen stattdessen von „ausgelaufenem Öl“ und von „Verunreinigungen“ reden. Es wurde außerdem ein Überflugverbot für die betroffenen Gebiete verhängt. Damit gibt es keine von offiziellen Stellen unabhängige Luftaufnahmen von der verseuchten Küste.

Spaniens Grüne haben am Freitag Strafantrag gegen das Madrider Umweltministerium sowie das Ministerium für Öffentliche Arbeiten gestellt. Durch „die Fahrlässigkeit“ und den Einsatz „unzureichender, falscher und unangebrachter Mittel“ sei es überhaupt erst zur Ölpest gekommen, „die das Leben gefährdet“. Damit habe sich die Regierung gleich mehrerer Umweltdelikte schuldig gemacht.