Plastikbuddhas und Teelichter

Die Stimmung war prima, es gab Chips und Flips en masse und oft fühlte es sich wie bei einer Nachtwanderung im Ferienlager an: Bei „Nacht und Nebel“ zeigte Neukölln, was es konnte und dass Mitte nicht der einzige Bezirk ist, in dem Kunst sein darf

von JANA SITTNICK

An dem Eis soll geleckt werden, so steht es mit schwarzem Stift auf dem Fußboden geschrieben. Es ist halbdunkel und schwül in dem Raum, Leute sind nur wenige da, und Kameras gar nicht, und das Eis hält ja auch nicht ewig. Ich gehe also in die Knie, beuge den Oberkörper vor wie ein Sumo-Ringer und lecke an der orangefarbenen Kugel, die so groß ist wie ein Kürbis. Ringsum kichern die, die sich nicht trauen zu lecken.

Der Eiskürbis ruht auf dem Kopf einer Gipsnixe, die früher wohl neben Bambi im Vorgarten stand. In meinem Mund kommt außer Kälte gar nichts an. Wassereis eben, sagt eine Assistentin, schmeckt nach nichts. Schön ist es trotzdem. „Stalaktiten Rot/Weiß“ nannte die Berliner Künstlerin Mo Skito ihre kurzlebige Eis-Installation, die am Donnerstagabend im Atelierhaus Wissmannstraße gemächlich vor sich hin tropfte. Ihr Beitrag zur Neuköllner „Nacht und Nebel“-Kunsttour war witzige Performance, obwohl Stalaktiten in Wirklichkeit Eiszapfen- und nicht kugelförmige Tropfsteine sind und von der Eiskugel als Kunstwerk auch nicht mehr bleibt als ein fader Geschmack auf der Zunge.

Mit der „Nacht und Nebel“-Aktion feierte Neukölln seine Premiere als Kunstbezirk. Dreizehn Galerien und Ateliers beteiligten sich an dem Rundgang und öffneten bis Mitternacht. Und da Neukölln keine Auguststraße hat wie Mitte, in der die Galerien dicht aneinander liegen, starteten acht Großraumtaxen im Zehnminutentakt, um die mit extra Lageplänen ausgestatteten Besucher von einem Ort zum nächsten zu bringen. Die Resonanz war gut, zwei- bis dreihundert Interessierte hatten sich schätzungsweise im nächtlichen Neukölln eingefunden.

Die Kunstwerke, die man bei „Nacht und Nebel“ entdecken konnte, waren so unterschiedlich wie ein buntes Potpourri aus hoher Bedeutung und Trash: Man sah naturalistische Malerei und kindische Skizzen, Tanzvideos, Fotografien, handgenähte Puppen, Drogenaltäre mit Plastikbuddhas und Tragetaschen aus Bierdosen. Die Stimmung war prima, weit vom Erhabenen entfernt. Es gab Wein, Chips und Flips en masse, wann kann man schon mal umsonst Taxi fahren, und oft fühlte es sich wie bei einer Nachtwanderung im Ferienlager an: Man wusste nicht, wohin es geht, und hinter welcher Ecke der als Gespenst verkleidete Bademeister wartete.

„Neukölln ist nicht gerade ein Ausgehbezirk“, sagt Kerstin Prinz vom „Schillerpalais“, einer der an der Veranstaltung von „Nacht und Nebel“ Beteiligten: „Wenn man hier einen ganzen Abend lang unterwegs sein will, wird es schwierig.“ Es gebe nicht genug Infrastuktur, kaum Cafés, zu wenig Restaurants. Die 36-jährige Kuratorin ist dennoch optimistisch. Sie nennt sich eine „überzeugte Neuköllnerin“. Die Gegend sei zum Wohnen ganz schön, weil man gute bezahlbare Altbauwohnungen findet, und keinen Zwang zum Schicksein, sondern skurrile Leute auf der Straße.

Auch den anderen Veranstaltern von „Nacht und Nebel“, dem Quartiersmanagement Schillerpromenade und der Kulturinitiative im Kiez ist daran gelegen, das schäbige Image Neuköllns aufzupolieren. Für die Kunstrundfahrt im Rahmen der Programmreihe „Schillernden Donnerstage“ schlossen sich dreizehn Kunstorte zusammen. Künstler in Neukölln gibt es genug, meint Prinz, und viele, die sich in Mitte finanziell nicht mehr halten können oder der aufgesetzten Stimmung leid sind, wären in den letzten Jahren hierher gezogen.

In den Räumen des „Schillerpalais“, das seit einem halben Jahr als Galerie in der Schillerpromenade sitzt, sieht man am schillernden Donnerstag die „Fête galante“ von Daniel Wiesenfeld, ein Zusammenspiel von Ölbildern und Video. Auf einer Waldlichtung tanzt eine Frau in Elfenkostüm, und auf den impressionistisch anmutenden Bildern wiederholt sich die Szenerie. Interessant, wie der Künstler die Bewegung im Bild fixiert, die Objektbegrenzungen zerfließen lässt und mit Licht wie mit einem Zauber arbeitet.

Ganz anders Martina Debus, René Wirths und Nicole Wendel in der Wissmannstraße: die mit Wasser gefüllten Plastikhandschuhe, kleinen Altäre mit Heiligenfiguren, Teelichten und Räucherstäbchen, die grünen Frauenbeine mit Hirschgeweihen und die knallbunt gemalten Blüten, die an Vaginas erinnern, schmecken nach dem psychedelischen Aroma von Goa-Raves oder Chill-out-Clubs, mit der typischen Mischung aus Sex, Drogen und Esoterik.

Prompt erzählt eine begeisterte Beobachterin, sie hätte in der Mongolei mal Kautabak gekaut, der wie Yakscheiße geschmeckt hätte. Darauf erwidert jemand trocken, dass es in der Mongolei gar keine Yaks gibt, nur kleine Pferde.