Pervertierte Nähe

Das „Heimspiel“ von Bobo Jelcic und Natasa Rajkovic, letztes Stück der Kampnagel-Reihe „Reiß mich auf!“, legt ernüchternd WG-Banalitäten und -Neurosen frei

Das letzte Stück in der Themenreihe „Reiß mich auf!“ auf Kampnagel kam alltäglich daher. In der Inszenierung von Bobo Jelcic und Natasa Rajkovic mit dem Schauspiel Hannover lud eine Wohngemeinschaft zum „Heimspiel“ ein. Keinem rollenden Ball sollten die Zuschauer folgen, sondern den Banalitäten der WG-internen Kommunikation.

Statt sich also genüsslich in die Sitzreihen zu drücken, spazierte man in das Heim von vier Frauen und vier Männern. In bester Erzähllaune saßen sie in ihren Zimmern und freuten sich über den Besuch. Drauflos schnatternd versorgten sie einander mit Geschichten, Reflexionen und alltäglicher Konversation. Martina etwa rätselte über das Phänomen Mitgefühl. Ihre Zimmernachbarin Aglaja spann anhand einer Fotoserie von Menschen in einer Kantine deren vermurkstes Beziehungsgeflecht. Im direkten Kontakt wirkten die WG-Bewohner kaum wie Schauspieler, sondern wie Freunde, die gerade Erlebtes mitteilen und den Besuch interagierend einbinden. Ab und zu stellten sie Fragen – rhetorisch oder echt interessiert. Und im Nu waren die Zuschauer zu Kumpeln geworden, die Grenze zwischen Publikum und Akteuren gefallen – um gleich wieder aufgebaut zu werden: Vom WG-Chef Moritz dirigiert, landete das Publikum schließlich doch auf den Sitzreihen, davor die Akteure. Mit Belanglosigkeiten angefüllt, plätscherte der Abend dahin. Worüber die Zuschauer sprechen wollten, wurden sie gefragt. Und dabei blieb es dann.

Die Interaktion blieb vordergründig, prallte ab an der hermetischen Spielsituation. Zunehmend verschwand das Publikum aus dem Blickfeld der Bewohner, die sich lieber in ihren Macken suhlten und wechselseitige Missachtung zelebrierten. Und erst an diesem Punkt wurde das Spiel interessant. Die Hierarchien innerhalb des Soziokosmos, das Dominanzgerangel zwischen weiblichen und männlichen Bewohnern gewannen jetzt Raum. Sichtbar wurde die fehlende Nähe, die unter allen oberflächlichen Absonderungen des Ichs als dunkles Loch klaffte. Deutlich wurde die Perversion, die das Leben in einer WG bedeutet: das Privateste miteinander zu teilen, obgleich man sich nicht ausstehen kann. Das war spannender und riss mehr auf, als der nette interaktive Ansatz, der leider Zwei Drittel des Stückes ausmachte. Lisa Monk