Generika sind keine Allheilmittel

In Thailand gibt es seit zehn Jahren „Kopien“ der Originalpräparate für HIV-Erkrankte. Das hilft, aber nicht genug: Die medizinische Versorgung erreicht längst nicht alle

Firmen, die Rabatte in Thailand ablehnen, bieten Medizin in Afrika umsonst an

BANGKOK taz ■ Werasid Sittirai, Chef des UN-Programms UN-Aids in Bangkok, fand dieser Tage deutliche Worte: „Thailand muss die intensive Kampagne, die es vor zehn Jahren geführt hat, wiederholen, oder die Seuche wird sich drastisch ausbreiten!“ An der jungen Generation von heute sei nämlich die Aufklärung Anfang der 90er-Jahre völlig vorbeigegangen. Offiziell gelten in Thailand 800.000 Menschen als HIV-positiv, tatsächlich sind es rund 2 Millionen, jedes Jahr sterben rund 30.000 Menschen an Aids.

Dabei gilt Thailand im Ausland als Vorreiter bei Aufklärung und Bekämpfung des HIV-Virus. In Bars und Nachtlokalen wurden kostenlos Kondome verteilt und Aidstests angeboten. Zudem produziert Thailand seit zehn Jahren Generika, preisgünstige „Kopien“ der Originalpräparate. Etwa 400 davon hat die „Government Pharmaceutical Organisation“, kurz GPO, schon hergestellt und musste sich dabei manches Mal gegen den Druck ausländischer Konzerne behaupten.

Die frühere Leiterin der Forschungsabteilung, Krisana Kraisintu, hat im Frühjahr das weltweit billigste Aidsmedikament auf den Markt gebracht: Eine Kombinationspille aus drei im Westen längst gebräuchlichen Standardpräparaten. Kostenpunkt monatlich: etwa 27 US-Dollar und damit 20-mal billiger als die so genannte antiretrovirale Therapie in den Industrieländern.

Hauptsächlich die USA hätten die GPO davon abzuhalten versucht, preiswertere Medikamente herzustellen, so Paul Cawthorne, Leiter von „Ärzte ohne Grenzen“ in Thailand. Jetzt habe sich die Lage wieder beruhigt. Aber in vielen Entwicklungsländern, wo Patentschutz besteht, darf ein neues Generikum nach wie vor weder hergestellt noch importiert werden.

Zumindest in Thailand sind die Kosten für Medizin drastisch gesunken. Auch sind „die Betroffenen heute eine mächtige Stimme“, freut sich Cawthorne. Aber bestimmte, dringend notwendige Medikamente, so genannte key drugs, seien immer noch zu teuer. Verglichen mit Afrika steht Thailand prinzipiell gut da, weil es weitaus mehr ausgebildete Ärzte und Krankenschwestern hat.

Allerdings muss das Netzwerk dringend ausgebaut werden. Immer noch sterben Menschen – meist in abgelegenen Regionen, wo Geld fehlt oder eine medizinische Infrastruktur nicht existiert. Laut „Ärzte ohne Grenzen“ brauchen bis zu 150.000 Betroffene dringend HIV-Medizin. Die Zahl der HIV-positiven Kinder wird inoffiziell auf etwa 50.000 geschätzt, aber nur ein Bruchteil kommt in den Genuss einer medizinischen Versorgung.

Paul Cawthorne wundert sich auch über das Verhalten mancher Pharmafirmen: „Dieselben Firmen, die Preisrabatte in Thailand ablehnen, bieten Medizin in Afrika oft umsonst an.“ Dabei wüssten sie gut, dass Afrika personell und strukturell noch viel weniger in der Lage ist, den Erkrankten die Medikamente zukommen zu lassen.

Ohne engagierte Helfer läuft auch in Thailand nichts. Einer von ihnen ist der ehemalige Henkel-Manager Karl Morsbach. Zusammen mit seiner thailändischen Ehefrau Tassanee gründete er die „Children’s Rights Foundation“, eine Stiftung für Aidswaisen. Etwa 40 Kinder werden medizinisch versorgt und liebevoll betreut – unter anderem von Pflegeeltern, die meist auch infiziert sind. Kostete das für ein Kind vorher zwischen 50.000 und 70.000 Baht monatlich (umgerechnet 1.250 bis 1.750 Euro), reichen heute bereits bis zu 3.500 Baht. Wenn aber eines der Kinder resistent wird oder die Medizin nicht mehr verträgt, müssen die Betreuer meist auf teuere Produkte umsteigen. Das Ehepaar fand Unterstützung und arbeitet mit einem deutschen Hersteller von HIV-Medizin zusammen, der ihnen Sirup liefert, „denn die Kleinsten können keine Pillen schlucken“, sagt Morsbach. Was die mit Spenden finanzierte Stiftung dringend braucht, ist mehr medizinisches Personal und Geld – die Versorgung mit Medizin und Essen kostet für alle Patienten und ihre Betreuer umgerechnet mindestens 7.200 Euro im Monat.

Die meisten Kranken haben das Glück einer solchen Versorgung nicht. Weil die Entwicklung derart alarmierend ist, will GPO-Direktor Thongchai Thawichachart jetzt eine Lizenz bei der Welthandelsorganisation beantragen. Danach dürfte Thailand selbst dann Generika herstellen, wenn die Originale unter Patent stehen. Ein Antrag mit vielleicht guten Chancen: Denn an der WTO-Spitze steht seit September Supachai Panitchpakdi, ein Thailänder. NICOLA GLASS