„Informationen wurden unterschlagen“

Erich Schmidt-Eenboom vom Forschungsinstitut für Friedenspolitik Weilheim zur Rolle der Geheimdienste

taz: Herr Schmidt-Eenboom, gab es beim Fall der UN-Schutzzone Srebrenica ein Versagen der westlichen Nachrichtendienste?

Erich Schmidt-Eenboom: Da gibt es drei Möglichkeiten. Erstens: Bei Srebrenica bestanden deutliche Aufklärungsdefizite. Zweitens: Es gab dramatische Fehler im Informationsmanagement der Nachrichtendienste. Drittens: Einige Nato-Staaten haben nachrichtendienstliche Erkenntnisse über den bevorstehenden Angriff bewusst verschwiegen, um – mit Blick auf die anschließenden Friedensverhandlungen (Dayton-Prozess) – aus der Opferrolle politischen Nutzen zu ziehen. Ich halte die dritte Möglichkeit keineswegs für ausgeschlossen.

Im Srebrenica-Bericht des „Niederländischen Instituts für Kriegsdokumentation“ (Niod) heißt es, die dritte Möglichkeit auch nur in Erwägung zu ziehen, wäre purer Zynismus.

Das ist zynisch Aber ist nicht die gesamte Geschichte der CIA eine Geschichte von Zynismen?

Die Niod-Studie kommt zu dem Schluss, dass die (westlichen) Nachrichtendienste vorab keine hinreichenden Hinweise auf den bevorstehenden Angriff auf Srebrenica hatten und ein adäquates Reagieren daher von vornherein ausgeschlossen war.

Es gibt deutliche Hinweise und Beweise, dass es ein Vorwissen gegeben hat. Es gibt auch Hinweise, dass diese Fakten, über die man Bescheid wusste, im nachrichtendienstlichen Management nicht an alle Betroffenen weitergeleitet worden sind. Die Niod-Studie setzt in der Gewichtung der verschiedenen – und teils widersprüchlichen – Quellen zu sehr auf US-Zeitzeugen. Man muss prüfen, ob es hier nicht vorrangig um Schutzbehauptungen geht, die den Verdacht ausräumen sollen, die USA hätten 1995 die niederländischen Verbände und die UNO bewusst im Regen stehen lassen.

Es geht bei der Niod-Studie um eine von der niederländischen Regierung in Auftrag gegebene Untersuchung. Kann man sich denn vorstellen, US-Funktionäre hätten da nicht die Wahrheit gesagt?

Gerade in diesem Fall kann man sich vorstellen, dass die Amerikaner nicht die volle Wahrheit gesagt haben. Stellen Sie sich einmal vor, welche Belastung es für das Verhältnis der Niederlande zur Nato-Führungsmacht bedeutet hätte, wenn Geheimdienstfunktionäre der USA dem Niod gegenüber gesagt hätten: Wir wussten damals von den Eroberungsplänen der bosnischen Serben, haben diese Informationen aber nicht weitergeleitet.

Journalisten haben bereits 1995 über Vorwissen bei westlichen Nachrichtendiensten berichtet, unter ihnen Andreas Zumach. Der taz-Korrespondent berichtete damals über abgehörte Gespräche über den geplanten Angriff zwischen dem bosnisch-serbischen General Mladić und Belgrad seit dem 17. Juni 1995. Hatte der Bundesnachrichtendienst Ihres Wissens diese Abhörprotokolle?

Ich habe nach den Berichten von Zumach im Zuge der Recherchen für mein letztes BND-Buch meine Fühler ausgestreckt. Und in diesem Punkt gab es eine ausdrückliche Bestätigung.

Von wem erhielten Sie diese Bestätigung?

Von Leuten, die nicht namentlich genannt werden wollen. Sie waren beim BND im Bereich der Fernmeldeaufklärung tätig.

Nun hat aber der BND dem Niod gegenüber dementiert, dass er solche Protokolle hat.

Es ist mir mehr als einmal passiert, dass der BND Operationen oder Erkenntnisse geleugnet hat, für die ich sichere Beweise habe.

Haben Sie den Eindruck, dass das Niod bei den Recherchen zur Frage, was die Nachrichtendienste wussten, bewusst irregeführt worden ist?

Ich habe den Eindruck, dass da zentrale Informationen unterschlagen worden sind.          INTERVIEW: HUUB JASPERS