Man spricht Deutsch

Die ARD berät morgen über die Zukunft ihrer muttersprachlichen Radioangebote für Migranten. Die Aussichten sind düster. Radio Multikulti (SFB) und Funkhaus Europa (WDR) wollen weitermachen

von OLIVER HINZ
und SASCHA TEGTMEIER

Die Lawine rollt, und sie kommt aus Baden-Baden. Seitdem der Südwestrundfunk (SWR) im Sommer angekündigt hatte, aus dem Hörfunkangebot der „muttersprachlichen Ausländerprogramme“ (ARD-Speak) auszusteigen, steht das gesamte Konzept in Frage.

Der SWR zahlt nur noch bis Ende des Jahres in die gemeinschaftliche Kasse ein, der NDR und der Saarländische Rundfunk haben ihren Austritt auch schon angekündigt. Dadurch bricht dem Gemeinschaftsprogramm fast die Hälfte seines Fünf-Millionen-Euro-Etats weg. Und angesichts dieses Finanzlochs überlegen auch die übrigen beteiligten ARD-Anstalten, ob sie aussteigen. Morgen steht das Thema – angeblich zum letzten Mal – auf der Tagesordnung der Intendantenkonferenz in Köln. „Die Sitution ist ziemlich aussichtlos“, sagt Ulrich Wagner-Grey, Ausländerprogrammchef des Bayerischen Rundfunks.

Problem für Multikulti

Auf noch wackligeren Beinen als bisher stehen dann auch die beiden mehrsprachigen Programme der ARD-Familie: das SFB-Radio Multikulti und das Funkhaus Europa des WDR. Denn auch sie werden zum Teil aus dem Gemeinschaftstopf finanziert und bekommen Material zugeliefert. Die beiden ARD-Anstalten planen nach WDR-Angaben jetzt gemeinsam mit dem Hessischen Rundfunk einen „kleinen Verbund“ zu schließen, um ihre Programme nicht einstellen oder wesentlich abspecken zu müssen.

Noch „spricht“ die ARD spanisch, griechisch, italienisch, türkisch, russisch, polnisch, albanisch, bosnisch, kroatisch, mazedonisch, serbisch und slowenisch. Und das drohende Funkloch für Zuwanderer ohne Deutschkenntnisse stößt einer Reihe von gesellschaftlichen Gruppen sauer auf: Die Marokkanisch-Deutsche Assoziation für Beratung und Gemeinwesen (ABG) hat zum gemeinsamen Protest aufgerufen und ein Manifest zu Rundfunk-Integrationsprogrammen für Minderheiten verfasst (siehe Kasten). Unterzeichner sind die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und neun weitere Organisationen sowie 130 Professoren unterzeichnet. Das Manifest fordert, nicht nur die bisherigen Programme zu erhalten, sondern zusätzlich noch um Fernsehsendungen zu ergänzen. Denn auch die MigrantInnen, die kein Deutsch sprechen, müssten integriert werden. Die Kritiker befürchten, dass diese Zuwanderer ansonsten ausschließlich auf die zum Teil staatlich regulierten Heimatsender aus der Satellitenschüssel zurückgreifen werden.

„Durch Berichte aus Ankara oder Kairo findet keine Integration statt“, sagt der Vorsitzende des Interkulturellen Rats, Jürgen Miksch. Die zehn Millionen Ausländer in Deutschland hätten ein Anrecht, sich im öffentlich-rechtlichen Programm wiederzufinden, sonst baue man die bereits bestehenden Nebengesellschaften weiter aus.

„Ein türkisches Gedicht möchte ich auch auf Türkisch hören“, sagt der Bundesvorsitzende der Ausländerbeiräte, Memet Kilic, der auch im Rundfunkrat des SWR sitzt.

Bricht die ARD-weite „muttersprachliche Ausländerprogramm“-Konzeption tatsächlich zusammen, ist es wieder Sache der einzelnen Anstalten, wie sie ihren öffentlich-rechtlichen Auftrag für „Gebührenzahler ausländischer Herkunft“ erfüllen. Immerhin arbeitet der SWR an einer Alternative namens „SWR-International“. Ab Januar 2003 soll diese neue Redaktion wochentags zweimal zwanzig Minuten und sonnabends eine halbe Stunde Programm gestalten – auf Deutsch. Redaktionsleiter Karl-Heinz Meier-Braun sagt, die bisherigen Programme hätten sich überholt, das multilinguale Gesamtprogramm hätte sich im Radio als „problematisch“ erwiesen. Im Internet werde es jedoch ein fremdsprachiges Begleitangebot für SWR-International geben.

Radio Multikulti und Funkhaus Europa wagen weiter ihren Sprachmix – und werden auch außerhalb der offiziellen Zielgruppen gehört. Sie wollen ein Programm der „kulturellen Vielfalt mit Informationen über das Zusammenleben der Kulturen sein“, sagt Multikulti-Chef Friedrich Voß. Der Erfolg der Sender spiegelt sich allerdings nicht in den Einschaltquoten wider – die Messungen berücksichtigen nämlich nur deutsche Staatsangehörige.

Nur noch Mittelwelle

Auch dass der SWR bei einer eigenen Umfrage schlechte Ergebnisse für sein bisheriges mehrsprachiges Angebot bekommen hat, ist nicht vewunderlich: Die Sendungen wurden auf die Mittelwellen abgeschoben – praktisch eine Vorstufe zum Abschalten. Und: „Wenn man nach den Einschaltquoten ginge, gäbe es Arte schon längst nicht mehr“, lästert Ausländerbeirat Milic.