Auch Raver altern

„Underworld“ haben den „Trainspotting“-Hype hinter sich und entdecken die Freuden des Familienlebens

Karl Hyde, Sänger von Underworld, ist ein sanfter Schluffi, der seine hyperaktive Haspeligkeit mit merklicher Offenheit ausgleicht. Der eine Menge Verletzlichkeit mitbringt und der mit all seiner gefühlten Selbstüberforderung fast an seiner Umgebung zerbrochen wäre. 44 Jahre ist er inzwischen. Auch Rave-Rocker werden halt älter.

Im Gespräch redet er über die letzten 20 Jahre: Wie er und Rick Smith als Freur in den 80ern Popstars sein wollten, „als Teil des big biz. Aber wir konnten nicht nach den Regeln von anderen in deren Spiel spielen.“ Smith und Hyde waren nicht stumpf genug fürs Geschäft und – mittlerweile als Underworld – am Ende. Dann entdeckte Smith den Dancefloor für sich. „Als wir Anfang der 90er zu Dance Music kamen, war die nicht so image- und altersbewusst im Unterschied zum Pop und Rock“, sagt Hyde. „Wir spielten die Musik und schauten, was auf der Tanzfläche passierte. Unser eigenes Marketing.“

Heute wohnt er mit Frau und Kind in einem Londoner Vorort und möchte auf eine erträgliche Weise arbeiten. Die Zeiten, als er und Smith sich als Ausgleich noch ihrer Design-Agentur Tomato widmeten, sind vorbei. „Mit Tomato zu arbeiten kann so frustrierend sein, weil die nicht erwachsen geworden sind wie wir“, so Hyde. „Im Moment sind mein Gegengewicht die Filme, Bücher und Fotos, die ich fürs Internet mache.“

Das war mal anders: Es gibt eine Zeit in Hydes Leben, da trank er und brauchte das zum Arbeiten. Heute ist seine Arbeitsweise, Texte aus Eindrücken und im Vorbeigehen eingefangenen Wort- und Satzfetzen zu pflücken. „Früher auf der Kunstschule dachte ich, meine besten Ideen kommen nur, wenn ich betrunken bin. Ich bin nachts rumgezogen und fand am nächsten Tag meine Taschen voller Zeichnungen. Lange habe ich zum Wortesammeln einen ähnlichen Prozess benutzt“, sagt er. „Ich hatte Angst, nicht mehr gute Arbeit zu machen, wollte aufhören mit dem Trinken – gleichzeitig dachte ich, dass dann alles vorbei wäre. Man muss an den Punkt kommen, wo das Aufhören wichtiger ist. Ich fragte Leute mit ähnlichen Erfahrungen und tat, was die mir vorschlugen. Das hat jetzt fast fünf Jahre so funktioniert. Ich dachte immer, es wäre langweilig, mit dem Trinken aufzuhören und langweilig, so alt zu werden. Eigentlich ist es aufregender geworden. Weil ich die Wahl habe, an Orten zu sein oder nicht, und es mir bewusst ist, dass es viele Dinge gibt, die ich machen könnte,“ sagt er.

Verena Dauerer

Donnerstag, 20 Uhr, Große Freiheit