Europaweite Werbung für das Kalifat

Die islamistische Organisation Hizb ut-Tahrir hatte mit Razzia gerechnet. Zentralrat der Muslime distanziert sich

GÖTTINGEN taz ■ Überraschend war es für die Kader der islamistischen Hizb ut-Tahrir („Befreiungspartei“) wohl kaum, als die deutsche Polizei vorgestern insgesamt 27 Wohnungen und Häuser mutmaßlicher Mitglieder durchsuchte und 25 Personen vorübergehend festnahm. Er sei „wirklich gespannt“, schrieb das Duisburger Hizb-ut-Tahrir-Mitglied Shaker Assem vor knapp zwei Wochen in einer über das Internet verbreiteten Erklärung, „welche Torturen sich Otto Schily ausdenken wird, um uns von unserer Tätigkeit abzubringen“.

Assems Rundschreiben endete mir der an den Bundesinnenminister gerichteten Warnung, dass ein solcher Schritt „ein sinnloses Unterfangen“ wäre. Die Hizb ut-Tahrir gewänne ständig neue Anhänger, brüstete sich der Diplomingenieur Assem, der zugleich Mitherausgeber des radikal antisemitischen und islamistischen Magazins Explizit ist, zudem in einem Internetforum.

Mit beiden Äußerungen könnte Assem, dessen Wohnung ebenfalls durchsucht wurde, durchaus Recht behalten. Tatsächlich betreibt die bereits 1953 in Jerusalem gegründete Hizb ut-Tahrir in Europa massive Werbung, und offenbar nicht ohne Erfolg. In kleinen Gruppen von zwei bis drei Personen tauchen die Parteimitglieder vornehmlich an Freitagen vor den Türen ausgewählter Moscheegemeinden auf und verteilen Flugblätter und Hetzschriften. Der Inhalt besteht vor allem aus der Forderung nach der Wiedererrichtung des Kalifats, also der möglichst die gesamte islamische Welt umfassenden religiösen Staatsordnung mit einem Kalifen an der Spitze. Indem die Hizb ut-Tahrir das Festhalten am Kalifat als islamische Pflicht darstellt, gelingt es ihr, neue Anhänger zu finden. Das britische Muslim Public Affairs Comitee (MPAC) räumte kürzlich zähneknirschend ein: „Die Gruppe hat einen enormen Zuwachs unter Jugendlichen. Sie liegen eindeutig vorne.“

In Deutschland versucht die Hizb ut-Tahrir zudem intensiv, die Meinungsführerschaft in den islamischen Hochschulgruppen zu übernehmen. Hier bieten sich Parteimitglieder als Vorbeter an und werben in den Freitagspredigten für ihre Ziele. Einem Bericht von „Spiegel online“ zufolge wurden bei der Razzia in dieser Woche 282.000 Euro sichergestellt.

Die Hizb ut-Tahrir ist aber nicht mit Gruppen wie der al-Qaida oder der im April ausgehobenen Al-Tawhid-Zelle vergleichbar. Der „Befreiungspartei“, die international aktiv ist und in vielen islamischen Staaten verboten ist, geht es darum, eine Massenbasis aufzubauen, um in der Zukunft eine Revolution innerhalb der islamischen Welt auszulösen. Der Terrorismusverdacht, der Auslöser für die Großrazzia vom Mittwoch war, ließ sich bisher auch nicht erhärten. Eine Sprecherin von Innenminister Schily wollte gestern über ein mögliches Verbotsverfahren gegen Hizb ut-Tahrir „nicht spekulieren“.

Ayman Mazyek, Sprecher des Zentralrats der Muslime, wies unterdessen im Gespräch mit der taz darauf hin, dass die Hizb ut-Tahrir in Deutschland nur eine Splittergruppe sei. „Die stupide Zweiteilung der Welt in Gut und Böse findet hier kaum Widerhall“, sagte Mazyek. Oft vertrieben Moscheemitglieder die Agitatoren wieder. „Solche muslimischen Huntingtons brauchen wir nicht“, ergänzte Mazyek. YASSIN MUSHARBASH