Wer Ohren hat zu hören …

Mit der Preisverleihung geht heute die „16. Woche des Hörspiels“ zu Ende: Eine anachronistische Unterhaltungsform, die sich in Zeiten der medialen Reizüberflutung erstaunlich gut behauptet

von MARKUS MÜNCH

Die Augen sind der puren Langeweile ausgeliefert: Sie sehen ein Sofa, das farbig beleuchtet wird. Eine geschlagene Stunde lang. Augen fallen bei solchen Motiven gerne mal zu – was nicht bedeutet, dass der Augeninhaber einschläft. Denn parallel zur allabendlichen Beleuchtung des Sofas präsentierte die Berliner Akademie der Künste in dieser Woche die „16. Woche des Hörspiels“. Zehn Hörspiele von ARD-Anstalten und dem DeutschlandRadio konkurrierten um den begehrten Preis der Berliner Akademie, der heute Abend verliehen wird.

Und es wird wohl voll werden, wie jedes Mal, wenn es etwas zu hören und nicht viel zu sehen gibt. Denn Hörspiele erfreuen sich ungebrochener Beliebtheit – nicht nur in den öffentlich-rechtlichen Redaktionen oder im Kulturbetrieb, sondern vor allem beim Publikum. Bester Beleg dafür: Sie machen mittlerweile selbst Hörspiele, die für Kunst und Kommerz gleichermaßen interessant sind.

„Plopp!“-Award heißt der Preis, der zum dritten Mal an ein Hörstück aus der „freien Szene“ verliehen wird. Das Preisgeld wird vom Münchner Hörverlag gestiftet – der kann sich solche Investitionen in seine eigene Zukunft locker leisten. Als größte Verwerter der öffentlich-rechtlichen Hörspielproduktionen ist er in Deutschland Marktführer und produziert neben den weniger aufwändigen Hörbüchern mittlerweile auch eigene Hörspiele.

Die Schaffenden freuen sich gleichermaßen über den unkonventionellen „Plopp!“-Wettbewerb, liefert er doch neue Ideen für eigene Produktionen. Jurorin Antje Vowinckel hat schon festgestellt, dass es dieses bei vielen Stücken um Außenseiterfiguren und negative Gefühle geht. Die Karrieretypen um die 30 seien nicht mehr so gefragt – anders als im Wettbewerb.

WDR und SWR schickten zum Beispiel die Umsetzung von Frédéric Beigbeders Roman „Neununddreizigneunzig“ in den Wettbewerb. Darin rechnet ein 33-jähriger Werbemann mit seiner Branche ab. Radio Bremen präsentierte mit „Elite 1.1“ gleich die Identitätssuche von sechs Figuren. Eine davon wird von Comedy-Star Anke Engelke gespielt, die auch eine kleine Abrechnung parat hatte: In der an jede Hörspielpräsentation anschließende Diskussion wischte sie lapidar ihre eigene TV-Karriere beiseite und konstatierte: „Radio is’ schon besser.“ Ein knappes Plädoyer für das Zuhören, aber, zumindest was Hörspiele angeht, ein typisches.

Hörkino im Kopf

Zur medialen Reizüberflutung suchen viele den Ausgleich in der anachronistischen Unterhaltungsform des schlichten Zuhörens – und zwar als abendlichem Event. Längst hat sich zum Beispiel in Berlin das „Hörspielkino“ etabliert. SFB und ORB präsentieren Hörspiele im Planetarium, und Karten sind schon Wochen vor der Veranstaltung nur noch mit Glück zu bekommen.

Nicht nur neue Hörspielproduktionen erleben diesen Run. In der Reihe „Denkmal Hörspiel“ wurden an historischen Orten in Berlin entsprechende Hörspiele präsentiert, zum Beispiel das DDR-Stück „Havarie im Kosmos“ im Fernsehturm am Alexanderplatz, der bei dieser Gelegenheit nahezu aus den Nähten platzte. Nicht wenige der Besucher sind um die zwanzig, Nachwuchssorgen müssen sich Produzenten und Verlage wohl kaum machen. So wurde dann an der Akademie der Künste auch nie ernsthaft hinterfragt, ob Hörspiele überhaupt noch zeitgemäß sind. Die Antwort lautet eindeutig: Ja. Die Rundfunkanstalten produzieren unaufhörlich: 611 neue Stücke waren es im vergangenen Jahr. Dabei hat die Menge etwas nachgelassen, nicht aber ihr Etat. Diskutiert wurde viel mehr über die Stoffe für Hörspiele und deren Umsetzung.

Zum Thema „Terror“ musste gar ein genreübergreifender Vergleich herhalten: Andres Veiels Kinodokumentation „Black Box BRD“ und Christof Schlingensiefs Hörspiel „Rosebud“. Die Umsetzung von Schlingensiefs Theaterstück hat es nicht in den Wettbewerb geschafft, steht aber fast exemplarisch für ein völlig unkonventionelles Herangehen an die Darstellungsform Hörspiel: Mit den Tonaufnahmen seiner Darsteller hat er sich am eigenen PC hingesetzt und seine akustisch anstrengende Antwort auf den 11. September komponiert.

Der Vergleich eines Hörspiels mit einem Film ließ natürlich die Tonarbeit in den Vordergrund rücken: „Black Box BRD“ als akustische Komposition, zu der vielfach die Bilder erst im Nachhinein eingepasst wurden, wie Regisseur Veiel erklärte.

„Klangarchitektur“ war dann auch Thema eines weiteren Workshops, der die Hörspielproduktion von ihrer technischen Seite beleuchtete, im Rahmen des Schwerpunkts „Sound Design“. Der lässt für die Ohren alles andere als Langeweile erwarten. Offen bleibt nach der Hörspielwoche nur die Frage, wie sich ein Hörstück optisch untermalen lässt: Sternenhimmel oder bunte Sofas?