„Von hier aus können wir sowieso nichts ändern“

Berliner Türken setzen Hoffnungen auf Erdogan, den Sieger der türkischen Parlamentswahlen. Besonders wichtig ist ihnen die Entscheidung nicht

Im Café des „Türkiyemspor Fan-Club“ in der Kreuzberger Admiralstraße ist es ruhig, die Männer an den runden Tischen konzentrieren sich auf ihr Brettspiel, statt über die Wahlen in der Türkei zu debattieren. „Das interessiert uns nicht, wir leben in Deutschland“, ruft einer vom Nebentisch. „Von hier aus können wir sowieso nichts ändern“, sagt Mehmet Gezer. „Das Ergebnis finde ich aber in Ordnung.“

Wem die Wahlen nicht egal sind, der setzt große Hoffnungen auf den Wahlsieger, die konservativ-religiöse AKP. „Wir erwarten, dass es den Menschen in der Türkei endlich besser geht, und dass wir in die EU reinkommen“, sagt Gezer. Für seine Verwandeten in der Türkei hofft er, dass die AKP endlich die schwere Wirtschaftskrise und die Armut in dem Land bekämpft. Durch einen EU-Beitritt der Türkei erwartet Gezer auch für sich selbst Verbesserungen: „Dann sind wir, die in Deutschland leben, hoffentlich auch in der Türkei besser akzeptiert.“ Auch bei den Renten für die Türken in Deutschland und der Integration von Rückkehrern müsse sich noch viel verbessern.

Die Hoffnungen richten sich vor allem auf Recep Tayyip Erdogan, den Parteichef der AKP. „Endlich kommen neue, junge Leute an die Macht“, sagt Hüseyin Yazici. „Erdogan ist ein ehrlicher Mann, und er hat viel für Istanbul getan“. Dort war Erdogan früher Bürgermeister. „Man erkennt die Stadt gar nicht mehr wieder.“ Den Vorwurf an den Wahlsieger, er sei Islamist, finden die Männer unsinnig. „Religion ist für ihn schon wichtig, aber er ist nicht radikal“, sagt Gezer. „Das ist wie mit Helmut Kohl“, ruft einer vom Nebentisch. „Die CDU ist doch auch eine religiöse Partei.“

Alisan Genc, stellvertretender Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, hofft sogar, dass der Wahlsieg von Erdogan zu einer Demokratisierung von islamistischen Organisationen in Deutschland führt. „Wenn die AKP sich als islamisch-demokratische Partei etabliert, werden auch in Deutschland mehr Gruppen sich als offizielle, gemäßigte NGOs präsentieren.“ Von der neuen Regierung fordert Genc vor allem, Möglichkeiten zur Briefwahl zu schaffen: „Die Auslandstürken haben ein großes Interesse an einer stabilen Türkei.“ Deshalb sei die Türkische Gemeinde in Deutschland vor allem froh darüber, dass die Wahlen „als demokratische Entscheidung von allen angenommen werden“.

Das Interesse an der türkischen Politik sei groß, doch den Türken in Deutschland sei klar: „Für uns ist eine Bundestagswahl wichtiger als die Wahlen in der Türkei.“ THOMAS GOEBEL

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