„Bei uns ist Quantität auch Qualität“

Die Universität der Künste feiert Campusjubiläum: 100 Jahre Hauptgebäude in der Hardenbergstraße. Doch der Sparzwang stellt ihr Modell in Frage

von THOMAS GOEBEL

Die Universität der Künste (UdK) feiert ein Jubiläum, aber sie feiert es nur ganz vorsichtig. Denn nach ziemlich genau 100 Jahren fortwährenden Wachstums könnte für die UdK nun eine neue Phase ihrer Geschichte beginnen – eine Phase der Leiden, der Kürzungen, der Streichungen, des Wegfalls ganzer Kunstbereiche: Am kommenden Mittwoch tagt zum zweiten Mal eine Kommission, die im Auftrag von Kultursenator Thomas Flierl (PDS) prüfen soll, ob alle vier Berliner Kunsthochschulen „als selbstständige Einrichtungen mit einem umfassenden Fächerspektrum aufrechterhalten bleiben können“. Die Berliner Gegenwart ist nicht die Zeit für rauschende Feste.

Das sah heute vor 100 Jahren anders aus: Am 2. November 1902 zogen die „Hochschule für die Bildenden Künste“ und die „Hochschule für Musik“ in ihre neuen, wuchtigen Prunkbauten an der Ecke Hardenbergstraße und Fasanenstraße: die heutigen Hauptgebäude der UdK. Drei Tage dauerten damals die Einweihungsfeiern. Den Höhepunkt der Festivitäten bildete eine Rede des Kaisers in der neuen Aula, gefolgt von einem „Hoch auf seine Majestät“ aus dem Munde Anton von Werners, des Direktors der Hochschule für die Bildenden Künste.

Die Kunst, so sah es zumindest der Kaiser, sollte vor allem repräsentativ sein. Dieses traditionelle Verständis zeigten auch die neuen Hochschulgebäude der Architekten Kyser und Großheim: Wuchtige Säulen und muskulöse Götterfiguren an den Fassaden demonstrieren Erhabenheit, Größe, Macht. Die Moderne hatte dagegen keine Chance: Von Melchior Lechter entworfene Jugendstilfenster lehnte der Kaiser ab: Er fand sie „unharmonisch“.

Trotz ihrer traditionellen Ausrichtung war mit dem gemeinsamen Charlottenburger Campus der beiden Hochschulen die Keimzelle gebildet für die spätere UdK. Immer mehr Ausbildungsorte für Kunst schlossen sich an – und so hielt endlich auch die Moderne Einzug. Großen Einfluss hatte in den Zwanzigerjahren die Vereinigung mit der Berliner Kunstgewerbeschule, die Künstler wie George Grosz und Mies van der Rohe besucht hatten. 1975 wurden die beiden Bereiche Musik und bildende Kunst auch organisatorisch zur „Hochschule der Künste“ verschmolzen, seit einem Jahr darf sie sich offiziell „Universität“ nennen.

Heute ist die UdK die größte Hochschule ihrer Art in Deutschland und ein künstlerisches Zentrum in Berlin. Immer wieder gewinnt die UdK auch internationale Künstler wie Jazzsänger Bobby McFerrin oder Modedesignerin Vivienne Westwood als Dozenten.

Trotzdem sieht es nicht gut aus für den universalen Anspruch der Universität. Denn auch bei den Hochschulen für Kunst hat das wiedervereinigte Berlin ein Parallelproblem: Neben der großen, möglichst alle Künste unter einem Dach vereinenden UdK im Westen bestehen im Osten der Stadt drei kleine, aber sehr renommierte Ausbildungsorte: die Hochschule für Musik Hanns Eisler, die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch und die Kunsthochschule Weißensee.

Viele Bereiche der Kunstausbildung in Berlin existieren daher doppelt – wenn auch mit unterschiedlichem Profil. So unterrichten UdK und die Ernst-Busch-Hochschule Schauspieler. Unterrichtsmethoden und Profil der Fächer sind allerdings völlig verschieden: Die UdK kombiniert Schauspiel mit einem Ausbildungsgang Musical, Ernst Busch bietet auch Puppenspiel und Regie an. Trotzdem fragen nicht nur Finanzpolitiker in Berlin immer wieder, ob sich die Stadt zwei Ausbildungsorte für Schauspieler leisten kann. Und gegen die hoch angesehene Ernst-Busch-Hochschule hätte der Schauspielzweig der UdK wohl wenig Chancen.

Bis 2006 ist die UdK durch einen Hochschulvertrag geschützt, das heißt: Der Senat kann bei ihr nicht kürzen. „An diesen Vertrag traut sich nicht einmal Finanzsenator Sarrazin“, sagt Jörg Kirchhoff, Pressesprecher der UdK. Diese finanzielle Sicherheit war die Gegenleistung dafür, dass die UdK in den letzten Jahren insgesamt 211 Stellen abgebaut hat, darunter 84 Professuren. Die drei kleinen Ostberliner Einrichtungen hingegen haben keine Hochschulverträge, sie sind akut bedroht von existenzgefährdenden Kürzungen.

Deshalb läuft bereits jetzt die Diskussion darüber, wie es weitergehen kann mit den Berliner Kunsthochschulen. Bis Anfang 2003 soll die von Kultursenator Thomas Flierl eingesetzte Kommission ihre Empfehlungen vorlegen für eine so genannte Strukturreform. Kommissionsvorsitzender Erich Thies, der Generalsekretär der Kultusministerkonferenz, will sich inhaltlich bisher nicht äußern. Es gehe der Kommission darum, die „Stärken der Hochschulen herauszustellen“.

Doch die Kürzungsdiskussion wird so auch zu einem unfreiwilligen Konkurrenzkampf der verschiedenen Modelle. „Bei uns ist Quantität auch Qualität“, sagt Jörg Kirchhoff, Pressesprecher der UdK. Die Auswahl der Professoren sei breiter, interdisziplinäres Arbeiten an einer großen Hochschule einfacher.

Unter den Berliner Kultur- und Wissenschaftspolitikern jedoch gibt es andere Stimmen, die sich im Zweifel für die kleineren, aber klar konturierten Einrichtungen entscheiden würden. Senator Flierl spricht im Arbeitsauftrag an die Expertenkommission noch vorsichtig von einer „stärkeren Profilbildung“ der Hochschulen. Andere werden deutlicher: „Ich könnte mir vorstellen, dass es zu Einschnitten bei der UdK kommt“, sagt Monika Grütters (CDU), „es gibt in Berlin beispielsweise viel zu viele Klavierklassen.“ Das „volle Spektrum“ der UdK gehe nach Meinung vieler Beobachter „zu Lasten einer herausragenden Qualität“.

Auch für Alice Ströver (Grüne) wäre eine möglichen Integration der kleinen Ostberliner Hochschulen in die große Universität „nur ein Fortschreiben der ohnehin schon übermäßigen Größe der UdK“. Das Modell einer gemeinsamen Universität der Künste begann vor 100 Jahren auf dem Charlottenburger Campus. Ob es ein Modell des vergangenen Jahrhunderts bleibt, muss sich noch zeigen.