Langer Marsch ins Sachbuch

Buch und Ausstellung dokumentieren die Bremische Schülerbewegung der 60er Jahre. Schüler von heute zeigen, wie ihre Eltern die Regierung damals ins Schwitzen brachten

„Chaos in Bremen“, titelte die Bild-Zeitung am 20. Januar 1968 und berichtete über Straßenschlachten, Blockaden und „Schnellgerichte“. Für Bremen war das damals Höhepunkt der politischen Auseinandersetzungen. Es ging um Fahrpreiserhöhungen für die Straßenbahn. „Siebzig Pfennig? Lieber renn’ ich!“, war der Slogan. Doch ging es auch um mehr.

Mit einem Deutsch-Leistungskurs des Kippenberg-Gymnasiums hat der Bremer Autor Detlef Michelers nun ein Buch und eine Ausstellung erarbeitet, die die Geschichte der Bremer Schülerbewegung dieser Jahre nachzeichnet. Vieles, was sich in den alten Flugblättern, Streitschriften und Schülerzeitungen findet, hat – mehr oder weniger unmittelbar – mit Schule zu tun. Von der Diskussion des Schulsystems kam man auf gesellschaftliche Verhältnisse. Liberaler Sex, Kritik an Autoritäten, Jugendkultur, Mitbestimmung. Und natürlich auch Vietnam.

In seinem Buch „Draufhauen, Draufhauen, Nachsetzen!“ macht Michelers aus seiner Sympathie für die aufbegehrenden Jugendlichen keinen Hehl. „Vergessen, hinter sich lassen, nach vorne schauen, lauteten die Lieblingsvokabeln der Eltern und Großeltern.“ Gleichwohl ergeht er sich nicht in Nostalgie. Dutzende von Gesprächen hat er geführt, die Aussagen thematisch und chronologisch komponiert. So entsteht das Zeit-Bild eines linken Bremen mit fast mythischen Orten wie der „Lila Eule“. Dass dabei auch die relative Orientierungslosigkeit der eigentlich wenigen SchülerInnen Erwähnung findet, macht das Buch ehrlich – und auch spannend.

„Wir wussten nicht, warum wir stark waren, und warum wir auf einmal so viele waren“, sagt Robert Bücking, mittlerweile Ortsamtsleiter im Viertel. Solidaritätsadressen gingen ein, nachdem die Polizei Demonstrationen niedergeknüppelt hatte. „Das war für mich, auf meinem Niveau, vollkommen unsortierbar.“ Mit seinen vielen Bildern funktioniert das Buch fast wie ein Familienalbum. Passend begrüßte Michelers am Dienstagabend bei der Ausstellungseröffnung: „Liebe frühere Sozialisten, Maoisten, Trotzkisten (...) und Radikalinskis.“ Viele, die damals beteiligt waren, sind in Bremen geblieben oder irgendwann hierher zurück gekehrt, um dieser Stadt in den letzten gut zwanzig Jahren den (kultur)politischen Stempel aufzudrücken.

Tim Schomacker

„Draufhauen, Draufhauen, Nachsetzen!“ ist noch bis zum 16. November im Haus der Bürgerschaft zu sehen. Das gleichnamige Buch erschien bei der Edition Temmen und kostet 20 Euro 90