Was Bush erwartet

Deutschland will raus aus der „atmosphärischen Defensive“, die USA erwarten Konzessionen

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Wenn Joschka Fischer heute Nachmittag in den USA eintrifft, erwarten ihn zwei Sorten Probleme: große und unlösbare. Zu den schier unlösbaren gehört eine zunehmende Kluft zwischen den Interessen von Europäern und Amerikanern, zu den etwas handhabbareren der Wunsch der USA nach einem deutschen Entgegenkommen bei außenpolitischen Fragen – von der Türkei bis zu einer Nato-Eingreiftruppe.

Unangenehm sind beide Sorten Probleme gleichermaßen, denn Erfolge lassen sich auf keinem Feld erzielen. Jedes offensichtliche Entgegenkommen des Deutschen erweckt in der Heimat den Eindruck eines Bußgangs, und an den großen Fragen wird Fischer wenig ändern können. So bestechen an seiner Reise vor allem symbolische Aspekte: er ist der erste deutsche Minister, der sich seit der Wahl wieder nach Washington traut.

Für den Kanzler, den Fischer gerne seinen „Chef“ nennt, soll er den Kundschafter spielen. Wie sauer ist die US-Regierung wirklich? Der Grüne ist für die Aufgabe leidlich gut gerüstet. Sorgsam hat er im Wahlkampf darauf geachtet, nicht in den Ruch des Antiamerikanismus zu geraten. Die harte Abgrenzung gegenüber Präsident George W. Bush hat er immer dem „Chef“ überlassen. Jetzt setzt Fischer auf den Kredit, den er in Washington aus alten Kosovo- und Afghanistan-Zeiten hat, um das Terrain zu erkunden.

„Deutschland ist im Atmosphärischen schon in die Defensive geraten“, räumt ein Außenpolitiker der Koalitionsfraktionen ein, „und die Amis sind Profis genug, daraus Kapital zu schlagen.“ Seit gut einer Woche kursiert darum in Berlin eine Liste, die keine ist. Zwar haben die politischen Berater und diplomatischen Kuriere aus Washington ihren deutschen Kollegen in Berlin keine förmliche Auflistung von Forderungen überreicht. Doch die verschiedentlich geäußerten Erwartungen der US-Regierung ergeben auch so einen stattlichen Wunschzettel.

Wenn die Deutschen beim Thema Irak schon hart bleiben wollen – und das hat Kanzler Schröder gestern in seiner Regierungserklärung erneut betont –, dann solle die Bundesregierung wenigstens auf dem November-Gipfel der Nato in Prag Zurückhaltung üben. Zwar wird die Nato sich als Organisation aus dem Krieg wohl heraushalten, Washington setzt allerdings auf die Unterstützung einzelner Mitgliedsländer. Umgekehrt scheint die Bundesregierung willens, für ihren Antikriegskurs nicht aktiv zu werben. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld hatte Rot-Grün schon kurz nach der Bundestagswahl gewarnt: „Wir haben in Amerika ein Sprichwort: Wenn du in einem Loch bist, höre auf zu buddeln.“

Darüber hinaus erwarten die USA mehr deutschen Einsatz bei zwei ihrer strategischen Anliegen: der stärkeren Einbindung der Türkei in den Westen sowie dem Umbau der Nato zu einer globalen Antiterroreinheit. Beim Aufbau einer Nato-Eingreiftruppe mit rund 20.000 Mann sieht die Bundesregierung bisher mehr Schwierigkeiten als Gelegenheiten – zumal gleichzeitig die EU eine eigene Eingreiftruppe plant. Die USA sehen in den Nato-Mannen dagegen eine Chance, den Antiterrorkampf zu institutionalisieren.

Wie auch immer die deutsch-amerikanische Verständigung im Detail ausfällt, den wirklichen Graben kann sie wohl nicht überbrücken. Washingtons konservative Polit-Elite ist derzeit tief beeindruckt von einem Aufsatz mit dem knappen Titel „Power and Weakness“. Darin kommt Autor Robert Kagan zu einer wenig versöhnlichen Einschätzung: „Als die USA schwach waren, verfolgten sie die Strategien der Schwachen; nun, da sie mächtig sind, benehmen sie sich auch wie ein mächtiger Staat.“ Die Schwachen sind in diesem Jahrhundert die Europäer. Das Ergebnis liege auf der Hand: „Die Wege der Vereinigten Staaten und Europas haben sich getrennt.“