Das große Spiel ihres Lebens

Nordkoreas Fußball-Nationalmannschaft von 1966 ist plötzlich wieder aufgetaucht und durfte nun sogar nochmals nach England reisen. Zwei Briten haben einen Dokumentarfilm über sie gedreht

Ins Arbeitslager, beteuern die Spieler, wurden sie nach der WM nicht gesteckt

aus Peking JUTTA LIETSCH

Weltmeisterschaft 1966 in England – Fußballfans in der ganzen Welt erinnern sich an das umstrittene dritte Tor im Endspiel England gegen Deutschland. Aber noch ein Ereignis ist in die Geschichte des Fußballs eingegangen: Eine völlig unbekannte Mannschaft aus Nordkorea warf die italienischen Favoriten mit einen 1:0-Sieg aus dem Wettbewerb. Die Azzurri mussten nach Hause fahren, wo sie von einem Hagel fauler Tomaten empfangen wurden.

Als erstes asiatisches Team schaffte es die Elf aus dem kommunistischen Staat damit bis ins Viertelfinale – und ging gegen Portugal zunächst 3:0 in Führung, bis der unvergessene Eusebio ein Tor nach dem anderen schoss und die Nordkoreaner mit 3:5 verloren. So plötzlich, wie sie aufgetaucht waren, verschwanden die flinken Männer wieder hinter dem Eisernen Vorhang. Nun, nach 36 Jahren, sind sie wieder da – was nicht nur in der Welt des Fußballs, sondern auch in der Politik einem kleinen Wunder gleichkommt.

Acht der „Helden von 1966“ – sieben Spieler und ein Trainer – erhielten jetzt von dem Regime in Pjöngjang die Erlaubnis, zu einem nostalgischen Wiedersehen nach England zu reisen. Dort bleiben sie bis Ende Oktober als Gäste des britischen Fußballverbands und der Stadt Middlesbrough – jenem Ort, in dem sie damals Fußballhistorie schrieben. Zu verdanken ist dies zwei Briten, die den Spuren der Nordkoreaner nachgegangen sind – und Unerhörtes fertig brachten: Mit Erlaubnis des „Lieben Führers“ Kim Jong-Il drehten sie einen faszinierenden Film über die Ereignisse jenes Jahres. Titel: „Das Spiel ihres Lebens“.

„Pingpongdiplomatie mit Fußbällen“, nennt Nick Bonner, der ein Nordkorea-Reisebüro in Peking leitet, sein Projekt. Wie Anfang der Siebzigerjahre die chinesischen Tischtennisspieler im Match gegen die USA die Aufnahme der Beziehungen zwischen Peking und Washington vorbereiteten, so könnten die Fußballer Nordkoreas nun dazu beitragen, „eine Brücke zwischen den Kulturen“ zu bauen, hofft Bonner. Über sechs Jahre haben er und Dokumentarfilmer Dan Gordon an dem Film gearbeitet, in dem sie nicht nur Fußballer, sondern auch ehemalige Gegner, Politiker und Fans zu Wort kommen lassen.

Vor ihrer Abreise nach England machten die Nordkoreaner in China Station. Freundlich und ein wenig schüchtern schauen die alten Herren in die Kameras und erzählen immer wieder, wie überrascht und stolz sie damals über ihren Sieg waren. Nichts im Aussehen der ehemaligen Sportler, die in ihren dunklen Anzügen mit dem obligatorischen Kim-Il-Sung-Abzeichen am Revers wie Funktionäre wirken, lässt erraten, welche Höhen und Tiefen sie durcherlebt haben. Eine Ahnung davon vermittelt der Film, der nicht nur die unglaubliche Fußballgeschichte zeigt, sondern auch von den Absurditäten des Kalten Krieges in den Sechzigerjahren und der erstaunlichen Sympathie der Bewohner des englischen Städtchens Middlesbrough gegenüber ihren nordkoreanischen Gästen berichtet: Archivbilder zeigen dicke Trauben jubelnder Engländer mit nordkoreanischen Fähnchen in den Straßen, Kinder und junge Frauen, die sich von ihren Idolen Autogramme geben lassen. Dies passte so gar nicht zur offiziellen Politik: London hatte die Spieler aus dem kommunistischen Feindesland nur zähneknirschend einreisen lassen.

Der einstündige Film verbindet die Ereignisse jener Zeit mit Szenen aus dem heutigen Nordkorea, das nach wie vor geprägt ist von einem erdrückenden Personenkult um den 1994 verstorbenen Kim Il-Sung und seinem heute herrschenden Sohn. Die acht Helden von Middlesbrough brechen vor der großen Bronzestatue Kim Il-Sungs in Tränen aus und wünschen, „dass unser Führer noch lebte und heute bei uns wäre“. Der hatte vor ihrer Abreise nach England gefordert, „in ein oder zwei Spielen zu siegen“. Dazwischen haben die Filmemacher unkommentiert jene Szenen geschnitten, mit denen sich Nordkorea gerne selbst präsentiert: die perfekten kleinen Musikerinnen und die eisern lächelnden Tänzerinnen aus dem Kinderpalast, die atemberaubende Massengymnastik im 1.-Mai-Stadion von Pjöngjang, dazu paradierende Soldaten sowie die allgegenwärtigen Monumente zu Ehren des Regimes. Das Ergebnis ist ein herrlich subversiver und zugleich fröhlicher Film, der – letzte Ironie – bereits mehrfach im nordkoreanischen Fernsehen gezeigt wurde. Allerdings lässt er einige Fragen offen: Wie kamen die anderen Mitspieler aus dem Team, die inzwischen gestorben sind, ums Leben? Was bedeuten die Uniformen der ehemaligen Profis?

Nach ihrer Abreise 1966 aus England kursierten bald Gerüchte, die gesamte Mannschaft sei ins Arbeitslager geschickt worden, weil sie nach dem Sieg über Italien zu viel gefeiert und getrunken hätte. Jahrelang waren die Kicker verschwunden. Im Gulag, beteuern sie nun gegenüber den Briten, seien sie aber nie gewesen. Gefragt, warum es solange gedauert habe, bis sie wieder ins Ausland reisen durften, antwortet Pak Do Ik, der Torschütze des legendären Spiels gegen Italien, lächelnd: „Wir waren zu beschäftigt.“