LOCKERUNGEN DES STRAFVOLLZUGS BRAUCHEN KÜNFTIG MEHR SORGFALT
: Gericht schießt Ärzten vor den Bug

Je desolater ein System ist, desto schwerer lässt sich Verantwortung festmachen. Nach dieser Logik hat nun das Landgericht Potsdam zwei Psychiatrieärzte vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Sie hatten einem gefährlichen Patienten Ausgang gewährt, den dieser zu Überfallen auf Frauen nutzte. Die Richter hielten es zwar für falsch, dem Mann Ausgang zu gewähren. Doch die späteren Tötungsdelikte könnten nicht den Ärzten zugerechnet werden, da der Patient aus der baufälligen Klinik auch leicht hätte fliehen können.

Manche mögen dieses Urteil als juristische Spitzfindigkeit kritisieren, tatsächlich war es wahrscheinlich eher ein wohl dosierter Schuss vor den Bug. Klargestellt ist jedenfalls, dass die Ärzte ihre Pflichten verletzt haben. Ein mehrfach vorbestrafter Mann, dem externe Gutachten „Gefährlichkeit“ attestieren und der mehrmals aus Kliniken entwichen war, ist besser zu sichern. Das heißt nicht, dass solche Personen 24 Stunden am Tag auf ihrem Zimmer sitzen müssen, aber statt der Freundin hätte man ihm als Begleitung für den Ausgang eben besser einen kräftigen Betreuer mitgegeben.

Vollzugslockerungen und Ausgänge sind nötig. Sie sind bei Straftätern und zwangsweise untergebrachten psychisch Kranken die Voraussetzung für eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Die meisten von ihnen werden irgendwann doch entlassen und müssen dann mit der Freiheit umgehen können. Akzeptanz für diesen Ansatz wird es in der Bevölkerung aber nur geben, wenn bei offensichtlich gefährlichen Personen mehr Sorgfalt als bisher ausgeübt wird. Sonst wird sich früher oder später die hessische Linie des Wegsperrens um jeden Preis durchsetzen.

Prozesse wie in Potsdam sollten dennoch nicht Schule machen. Denn Vollzugslockerungen erfordern immer Mut, und der wird sicher nicht gefördert, wenn sich Ärzte stets mit einem Bein im Gefängnis sehen. Sie können bei Richtern allerdings auf etwas Verständnis bauen, denn sonst werden deren Entscheidungen – etwa die Aussetzung einer Haftstrafe auf Bewährung – bald ähnlich kritisch überprüft. CHRISTIAN RATH