Nähen mit Vivienne

Seit 1993 lehrt die einstige Punk-Ikone Vivienne Westwood Bekleidungsdesign an der Universität der Künste. Ihre legendäre Strenge hat dabei offensichtlich nachgelassen

500 Jahre Mode hängen an einer Kleiderstange. Hemden mit weiten, offenen Ärmeln, hochgeschlossene Barockkleider, und Jagdröcke. Alle aus dem gleichen ungebleichten Nesselstoff, farblos, aber mit Liebe zum Detail genäht – sogar Pfauenfedern wurden mühevoll nachempfunden. Wer bei Vivienne Westwood Bekleidungsdesign studiert, muss sich mit der Vergangenheit auseinander setzen.

Codes der Zeit verstehen

„Die Schnittkunst der letzten Jahrhunderte ist der Grundsatz für die Mode von heute. Die Elemente werden bis in die heutige Zeit übernommen, auch wenn sie nicht für jedermann sofort erkennbar sind“, erklärt Constanze Knapp, Diplomandin bei Westwood, die Philosophie der berühmten Modeschöpferin. Ihre erste Aufgabe vor drei Jahren war, ein Barockgemälde auszuwählen und ein darauf abgebildetes Kleid nachzuschneidern – inklusive Unterrock und Spitze. Ist das jetzt noch Modedesign oder schon Kunstgeschichte? „Wer ein historisches Kleid nachnäht, erfährt viel über andere Schnitte“ sagt Knapp. „Man muss die Codes der Zeit verstehen, um sie von neuem einzubringen.“

Die gebürtige Münchnerin hat geschafft, wovon viele Modestudenten träumen: die Aufnahme in die Klasse von Vivienne Westwood. Die Stardesignerin entscheidet nach einem persönlichen Gespräch, ob man in ihre Klasse passt oder nicht. „Man muss sich mit einem Vortrag präsentieren, aber auch als Gesamterscheinung. Natürlich ist es ganz wichtig, wie man angezogen ist. Ich hatte einen Rock aus Mantelstoff mit langen Haaren an, den ich im zweiten Semester genäht habe, und ein Ledertop.“

Westwood ist nur einmal im Monat in Berlin. Das sind kritische Stunden für die angehenden Designer: Ihre Arbeiten werden besprochen, verbessert oder verworfen. „Es ist wahnsinnig anstrengend“, sagt Knapp. „Man muss die Fragen, die man hat, genau formulieren.“ Die legendäre Strenge der Professorin hat aber offensichtlich nachgelassen. „Sie würde nie jemanden fertig machen“, sagt Knapp. Im Gegenteil: Vivienne, wie sie von ihren Studenten genannt wird, gehe sanft und liebevoll mit ihnen um. „Sie versäumt keine Gelegenheit, uns in der Öffentlichkeit zu loben“, sagt Knapp, und man sieht ihr an, wie stolz sie darauf ist.

Wie ein Guru würde Vivienne Westwood von ihren Studenten verehrt, heißt es. Knapp sagt, dass ihr Urteil so gut wie nie fehlschlage. Im Mittelpunkt von Westwoods Designs steht der Körper, Zeichnungen braucht sie nicht. Die Schnitte werden in Nesselstoff genäht und gleich an das Modell geheftet. Dann wird der zu Modell und Schnitt passende Stoff gesucht. „Der Stoff ist meistens das Wichtigste. Er kann den Entwurf total verändern“.

Kostspielige Materialien

Guter Stoff hat seinen Preis. Dieses Problem kennen alle Modestudenten. Doch mit einer Westwood als Professorin finden sich leicht Sponsoren. Die rote Seidenhohlspitze, die Knapp in eine wunderbare Bomberjacke mit goldenem Reißverschluss verwandelt hat, kostet normalerweise 500 Euro der Meter; ähnlich teuer war der schwere grüne Taftstoff für das Kleid mit den weiten Scheinärmeln in der Tradition des spanischen Barock. Gute Kontakte zur Stoffindustrie sind ein Privileg der Westwood’schen Studenten, genauso wie die große Aufmerksamkeit, die ihre Kreationen genießen. Die Shows der Modeklasse ziehen immer Prominente an, bei der letzten Gala waren unter den Gästen auch Wolfgang Joop und Nadja Auermann. Doch was wirklich zählt: „Dass Vivienne für uns da ist“, sagt Knapp. „Und dass sie sich für uns interessiert.“ ULRIKE SCHATTENMANN