Geschichte eines fast tödlichen Sprungs

Der Leiter einer Anlaufstelle für Folteropfer muss vor Gericht. Er hatte einem Kurden Schutz vor der Polizei gewährt

BERLIN taz ■ Wenn Davut K. den heutigen Prozesstermin im Berliner Amtsgericht wahrnehmen wollte, könnte er den Saal auf eigenen Beinen betreten. Das ist erstaunlich genug. Als der kurdische Jugendliche vor knapp zwei Jahren in panischer Angst vor einer Abschiebung vom Balkon sprang, war wochenlang höchst ungewiss, ob er je wieder würde laufen können.

Der 17-Jährige war in Berlin beim Schwarzfahren erwischt worden. Er rannte weg, die Polizisten nahmen mit gezückten Waffen die Verfolgung auf. Die Flucht endete in einer Beratungsstelle für Folteropfer mit einem Sprung aus dem dritten Stock. Zwei Wochen kämpften die Ärzte um sein Leben. Wenig später stellte sich heraus, dass K.s Asylantrag völlig zu Unrecht abgelehnt worden war. Heute lebt er als anerkannter Flüchtling weitgehend genesen in Sachsen-Anhalt.

Wer heute in Berlin vor Gericht steht? Der Leiter der Beratungsstelle, der im November 2000 den Beamten den Zutritt zu den Räumen verwehrte. Ihm wird „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ vorgeworfen. „Natürlich habe ich mich dazwischen gestellt“, sagt Dietrich Koch, Leiter von „Xenion“, „wir können doch nicht zulassen, dass die Polizei hier unlegitimiert mit Schusswaffen eindringt und Leute verhaftet.“

Die Polizei rechtfertigt ihr Vorgehen, es habe eine „unmittelbare Verfolgungssituation“ bestanden. In dem Fall brauche es keinen Durchsuchungsbefehl – weder für eine therapeutische Beratungsstelle noch für Anwaltskanzleien oder Arztpraxen.

Der heute 19 Jahre alte Davut K. hatte Glück im Unglück. Im Rahmen der bundesweiten Aufmerksamkeit, die ihm nach der Verfolgungsjagd zuteil wurde, reiste ein „Kontraste“-Fernsehteam in die Türkei. Von dort brachten die Reporter das Original eines Gerichtsurteils sowie weitere Dokumente mit, deren Kopien das deutsche Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge meinte allesamt als Fälschungen erkannt zu haben.

Wegen angeblicher „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ war Davut K. als 15-Jähriger zu zwölfeinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Nachdem er sich unter Folter bereit erklärt hatte, für den Geheimdienst zu arbeiten, war er entlassen worden und nach Deutschland geflüchtet. Dank der Dokumentenbeschaffung wurde das Verfahren wieder aufgenommen. Binnen weniger Wochen wurde Davut K. Anfang 2001 als politisch Verfolgter anerkannt. JEANNETTE GODDAR