osterweiterung
: EU und Europa verschmelzen

Die USA mit Amerika gleichzusetzen dient Autoren mal als Stilmittel gegen Wiederholungen, mal äußert sich darin schiere Gedankenlosigkeit. Gelegentlich aber gibt sich auf diese Weise auch eine Arroganz zu erkennen, die vom Kontinent hinter dem Atlantik nur das für beachtenswert hält, was in seinem mächtigsten Land passiert. Ganz ähnlich verhält es sich mit Europa und der EU: Der Kontinent und der Staatenbund in seiner Westhälfte sind nicht deckungsgleich.

Kommentarvon DIETMAR BARTZ

Aber im Gegensatz zu den USA und Amerika beginnen die EU und Europa zu verschmelzen. Wenn der Fahrplan zur Osterweiterung einigermaßen eingehalten wird, kann in wenigen Jahren etwa die Hälfte aller Länder, die geografisch zu Europa zählen, politisch der EU angehören. Kein Wunder, dass jetzt eine Debatte darum beginnt, ob nicht der „europäische Gedanke“ verflacht und seine Kraft zur Herausbildung einer übernationalen Identität nachlässt. Nach der Türkei werden irgendwann auch Russland und gar die Kaukasusrepubliken Mitglieder werden wollen – war es da nicht falsch, die politische und wirtschaftliche Integration an einen geografischen Begriff zu knüpfen?

Die EU hat den „europäischen Gedanken“ nicht für sich gepachtet. Der Kontinent ist viel zu differenziert, als dass er sich auf einen kulturellen Nenner bringen ließe, den die EU oder die „Altmitglieder“ vorgäben. Und weil die EU nur über ihre eigene Erweiterung beschließt, ist auch die Klage nicht gerechtfertigt, sie bestimme die Standards dafür, wer zu Europa gehört und wer nicht – oder man folgt der Logik der Gleichsetzer.

Und doch beginnen sich mit der Osterweiterung die Begriffe von EU und Europa zu verändern. Die letzten Neuzugänge waren wohlhabende Industrieländer, die sich nur auf bereits hohem Niveau den EU-Standards anpassen mussten. Die Künftigen hingegen haben einen mehr oder weniger langen Weg vor sich. Eine „Europäisierung“ dieser Länder ist die Anpassung an die Vorgaben der EU nicht – nach Geschichte und Selbstverständnis gehörten die Neuen schon immer zu Europa. Aber ein anderer Begriff für den Beitrittsprozess steht nicht zur Verfügung.

Je mehr Länder in die EU streben, umso mehr decken sich Geografie, Politik und Wirtschaft. Das bedeutet keine Nivellierung, sondern Vielfalt. Der Inhalt des Begriffs „Europa“ wird weiter und schließt immer weniger Anderes aus. Die Nostalgiker haben Recht: Ihr alter Begriff von Europa geht verloren. Und das wird höchste Zeit.