Gegen tief sitzende Ressentiments

Kino versus sexuelle Normierungen: Am Dienstag beginnen mit einem Kurzfilmprogramm die 13. Lesbisch Schwulen Filmtage

Die Themen sind schon lange nicht mehr nur lesbisch oder schwul

von KATJA STRUBE

Wenn sich der Vorhang für die Lesbisch Schwulen Filmtage öffnet, ist kein Platz für vorhersehbare Hetero-Liebesgeschichten mit Hochzeits-Happy End. Und die Themen sind schon lange nicht mehr nur lesbisch oder schwul: Der Schwerpunkt hat sich in den vergangenen 13 Jahren vom Erzählen über homosexuelle Beziehungen zu Darstellungen verschiedener Identitäten erweitert, seien sie bi-, trans-, intersexuell, queer oder einfach promiskuitiv. Dabei geht es auf der einen Seite um das Stärken von Identitäten, welche die heteronormative Gesellschaft erst einmal nicht vorsieht, und auf der anderen Seite um ein Verstören der Sicherheit einer solchen Identität. Beide Ansätze haben auf den diesjährigen Filmtagen ihren Ort.

Dass das Finden überhaupt einer sexuellen Identität immer mit (zumindest Androhungen von) Gewalt und schmerzenden Selbstzurichtungen verbunden ist, arbeitet Varuh Meje – Guardian of the Frontier (2001) der slowenischen Regisseurin Maja Weiss in mythisch-fesselnden Bildern heraus. Warum antihomosexuelle Gewalt auch heutzutage noch Aktualität besitzt und nur zu häufig zum Tod von Menschen führt, die der Gesellschaft als nicht passend erscheinen, versucht die Sozialstudie The Laramie Project (2001) von Moises Kaufmann herauszufinden. Wie tief die Ressentiments sitzen, erfahren die Mitglieder einer Theatergruppe, die in einer Kleinstadt im US-Bundesstaat Wyoming Interviews mit Betroffenen eines Mordfalls führen – der 19-jährige Matthew Shepard war dort 1998 zu Tode gefoltert worden.

Mit extrem handlungsorientierten Reaktionen von Frauen auf wiederholte männliche sexualisierte Gewalt beschäftigt sich die Reihe „Damenwahl“. Jetzt sind die Frauen an der Reihe, die Spielregeln selbst stehen aber bereits fest. Der Film S. (2000) des belgischen Regissieurs Guido Henderickx wendet sich gegen einen männlichen Blick auf Frauen. Henderickx zeigt durch guckkastenartige Einstellungen – das Leben ist eine Peepshow, zumindest, wenn man eine Frau ist – die Unmöglichkeit von auch nur temporärem Glück für die Hauptfigur S., die sich zunehmend in die Gewaltförmigkeit ihrer Beziehungen verstrickt.

Eindringlich setzt Heavenly Creatures (1994) von Peter Jackson die Entwicklung einer zarten Liebesbeziehung zwischen zwei Mädchen im Neuseeland der 50er Jahre um. Der Druck, der auf die Mädchen ausgeübt wird, entlädt sich in einer verzweifelten Gewalttat. In Maarten Treuniets Het Paradijs (1999) lehnt sich eine Prostituierte gegen eine ganze Dorfgemeinschaft auf, in die sie gekommen ist, weil sie zuvor in einem Quiz als Gewinn für einen Monat vergeben wurde. Das durchaus Befreiende, das in der filmischen Gegengewalt von Frauen liegt, wird ein wenig dadurch abgeschwächt, dass alle Filme dieser Reihe von männlichen Regisseuren stammen.

Dass man nicht einfach als Frau zur Welt kommt, sondern dazu gemacht wird, zeigt der Film Das verordnete Geschlecht (2001). Die Regisseure Oliver Tolmein und Bertram Rotermund gehen der gesellschaftlichen Produktion der genau zwei Geschlechter auf den Grund: Erfüllt der Zipfel von Neugeborenen nicht eine bestimmte Höchst- oder Mindestgröße, wird der Körperteil beschnitten und das Baby zum Mädchen deklariert. Auf dieser Form der Gewalt basiert die gesamte zweigeschlechtliche Ordnung. Folgerichtig haben es Intersexuelle, körperlich nicht in das binäre Schema passende Menschen mit der gesamten Repression zu tun, die diese Ordnung aufbieten kann, um sich zu erhalten. Auch darum wird es in dem anschließenden Publikumsgespräch mit am Film Beteiligten sowie Elisabeth Truider und Robin Bauer (AG LesBiSchwule Studien/Queer Studies) gehen.

Zur Eröffnung präsentiert in diesem Jahr Schmidt-Künstlerin Irmgard Knef ein Kurzfilmprogramm, unter anderem mit Stuck (2002), dem neuen Film von Jamie Babbit, die auch selbst anwesend sein wird. Ihr zu Ehren läuft am Abend danach auch eine Wiederholung von But I‘m a Cheerleader (1999) samt weiterer Kurzfilme der Star-Regisseurin lesbischer Filme. Im Anschluss an die Eröffnungsfeier wird Piedras (2002) gezeigt, ein Alle-Schicksale-sind-miteinander-verlinkt-Episodenfilm, der das aus Liebesbeziehungen respektive deren Ende resultierende Unglück in allen Schattierungen darstellt.

Wie jedes Jahr gibt es nicht nur Filme zu sehen, sondern auch hochfrequentierte soziale Treffpunkte zu besuchen: Neben der Filmtageparty am Freitag trifft man sich vor allem in der Nachtbar, deren Ort traditionell immer erst bei der Eröffnung bekannt gegeben wird.

Eröffnungsfeier mit Kurzfilmen: Di, 15.10., 19.30, Zeise; Piedras: Di, 15.10., 22.15, Zeise; But I‘m a Cheerleader – A Tribute to Jamie Babbit (mit Kurzfilmen): Mi, 16.10., 22.30, Zeise; Varuh Meje – Guardian of the Frontier: Do, 17.10., 20.15, Zeise; S.: Fr, 18.10., 20.15, Zeise; The Laramie Project: Sa, 19.10., 15.00, Zeise; Heavenly Creatures: Sa, 19.10., 22.30, Zeise; Das verordnete Geschlecht: So, 20.10., 13.30, Metropolis; Het Paradijs: So, 20.10., 17.30, B-Movie; gesamtes LSF-Programm siehe www.lsf-hamburg.de; Filmtageparty: Fr, 18.10., 23 Uhr, Madhouse (Ex-Absolut) am Hans-Albers-Platz