Gestochen scharfe Mülleimerdeckel

Seit gestern filmt eine Überwachungskamera den Bahnhofsvorplatz. Innensenator Böse (CDU) will damit das „Sicherheitsgefühl der Bürger stärken“

Den Obdachlosen am Bahnhof stört die Überwachungskamera nicht: „Ich hab’ nichts zu befürchten. Die können mich ruhig beim Biertrinken filmen.“

Seit gestern überwacht die Bremer Polizei den Bahnhofsvorplatz mit einer um 360 Grad schwenkbaren Videokamera. Um „Straftäter zu verunsichern“ und das „Sicherheitsgefühl der Bürger zu stärken“ sei die Kamera für eine zweijährige Pilotphase installiert worden, sagte Innensenator Kuno Böse (CDU).

„Ich finde das schrecklich“, sagt eine Passantin, die sich als Nicht-Bremerin vorstellt. „Das geht ganz schön in den Überwachungsstaat.“ Dass die aufgenommenen Bilder nach 48 Stunden gelöscht werden, glaubt sie nicht. Eine ältere Dame sagt dagegen: „Gut, dass es das jetzt gibt. Das wurde Zeit.“ Ein stark sehbehinderter Mann ist unschlüssig: „Ich habe mich hier auch vorher nicht bedroht gefühlt.“

Die Bilder, die im Polizeipräsidium auf dem Bildschirm erscheinen, sind gestochen scharf: Fast kann man die einzelnen Regentropfen auf dem pinkfarbenen Schirm einer Passantin erkennen. Ein Zoom auf einen Mülleimer zeigt: Der Deckel sitzt schief auf seiner Tonne. Die Technikvorführung zeigte auch: Bei Regen verursachen die Tropfen vor der Kameralinse blinde Flecken. Da das Gerät seitlich an einem Straßenbahnmast angebracht ist, gibt es auch einen toten Winkel: Ein Teil der Fahrradstellplätze ist nicht einsehbar. Dabei stehen Fahrraddiebstähle in der Liste „ausgewählter Delikte“ am „Kriminalitätsbrennpunkt“ Bahnhofsvorplatz an zweiter Stelle (171 im Jahr 2001) hinter „Rauschgiftdelikten“ (341) – und vor „Körperverletzung“ (129).

Die Bahnhofsbeobachtung ist in der Vahr dem Verkehrslagezentrum zugeordnet. Der Polizist, der für das Verkehrsleitsystem auf der A 1 und alle PC-gesteuerten Bremer Ampeln zuständig ist, behält nun auch die Reisenden im Auge. Per Joystick schwenkt und zoomt er über die Köpfe der Leute. Sobald die Kamera Pizza-, Sex- oder Gyros-Läden in den Blick bekommt, macht eine Abblende die Leuchtreklamen unkenntlich, „aus Datenschutzgründen“, erklärte der Innensenator. Wenn die Bilder eine Straftat zeigen, werden sie auf CD gebrannt – damit sind sie gerichtsverwendbar. Bei Demonstrationen werde die Kamera ausgeschaltet solange nichts Gesetzwidriges geschehe, sagte Böse. Für den Fall, dass der gewünschte Erfolg der Überwachung nicht eintrete – weniger Straftaten im überwachten Bereich – schloss Böse nicht aus, dass die Kamera nach 2004 wieder abmontiert werde.

Ulrike Bendrat